Konzeptpapier: Pierre Bourdieus Feldbegriff

Pierre Bourdieus Feldbegriff


„Soziale Felder sind von der Theoriestelle her vergleichbar mit Alfred Schütz‘ »Sinnprovinzen«, Max Webers »Wertsphären«, Erving Goffmans »Rahmen« oder Niklas Luhmanns »Subsystemen«. All diesen Theorien ist gemeinsam, daß sie Wirklichkeit als sozial konstruiert beschreiben. “ (Bohn, Hahn 2007, S. 299)

Bourdieus Begriff des sozialen Feldes meint differenzierte gesellschaftliche Bereiche, hervorgegangen aus der Arbeitsteilung, mit eigenen Ressourcen und eigenen Spielregeln für das soziale Verhalten innerhalb dieses Feldes. Vgl.(Müller 1992, S. 263; Iser 1983, S. 67)

„Die Logik des Feldes lässt sich nur aus der empirischen Beobachtung des Feldes gewinnen, sie gehorcht keinen strukturellen Gesetzen, die für alle Felder gleich sind.“ (Hillebrandt 1999, S. 12)

Diese sozialwissenschaftlich konstruierten Räume, die dazu dienen, soziale Beziehungen und Netzwerke zu verstehen, Klassen abzugrenzen, Relationen zwischen den handelnden AkteurInnen im Feld aufzuzeigen und die Macht-Komplexität in der realen Welt zu analytischen Zwecken zu vereinfachen um diese theoretisch erklären zu können. Der soziale Raum wird daher zu einem Raum von Unterschieden, von Differenzen und von AkteurInnen mit verschiedenen Wegen und Zielen. Die Ausdehnung eines Feldes ist nur durch die Feldeffekte definiert – wirkt also ein Feld weiter, so hat es eine größere Ausdehnung. Vgl. (Müller, S. 36, Müller 1986, S. 164; Schürz 23.06.1999, S. 2; Anheier et al. 1995, S. 860; Bohn, Hahn 2007, S. 300)

„Analytisch betrachtet, bezieht sich der Begriff des sozialen Feldes auf eine Konfiguration oder Konstellation, die meist einen Markt, die beteiligten Akteure und ihre Interessen, sowie Strategien, den oder die institutionellen oder organisatorischen Kontexten, wie auch die typisch zu erwartenden Spannungen und Konfliktlinien umfasst. “ (Müller 1992, S. 263f)

Innerhalb von Feldern geht man davon aus, dass die Akteure um soziale Positionen konkurrieren, das führt dazu, dass sich soziale Strukturen etablieren. Soziale Strukturen im Sinne sozialer Räume in denen die AkteurInnen unterschiedliche relative Positionen zueinander einnehmen, je nach dem in welchem Ausmaß diese verschiedene Ressourcen besitzen. Zusätzlich gibt es unterschiedliche Karrierewege im Feld, so genannte „Trajectoire“, zukünftige wahrscheinliche Positionen eines Akteurs. Vgl. (Anheier et al. 1995, S. 860)

„Der soziale Raum ist also nicht nur ein Raum von Unterschieden, sondern auch ein Raum von Beziehungen. Diese Beziehungen enthalten auch ein dynamisches Moment: Relevant für die Bewertung der Akteure ist nicht nur die aktuelle soziale Position eines Individuums bzw. einer Gruppe von Individuen in ähnlicher Lage, sondern auch deren Vergangenheit und Zukunft, deren trajectoire oder »Reiseweg« im sozialen Raum, also die Frage, ob es sich um sozial aufsteigende oder absteigende Personen und Gruppen handelt.“ (Krais 2005, S. 92f)

Ganz wichtig für das Verstehen von Feldern ist nach Bourdieu die Geschichte des Feldes, die sich in den feldimmanenten Regeln und Riten äußert: „Die gesellschaftliche Welt ist akkumulierte Geschichte. Sie darf deshalb nicht auf eine Aneinanderreihung von kurzlebigen und mechanischen Gleichgewichtszuständen reduziert werden, in denen Menschen die Rolle von austauschbaren Teilchen spielen“ (Bourdieu 1983, S. 183)

Die Logik des Feldes wird als „Spiel“ oder „Kampf“ um Ressourcen und um die symbolische Macht im Feld beschrieben, der zwischen den Akteuren im Feld stattfindet. Die historisch gewachsenen Regeln des Feldes werden von den Mitspielern implizit und unreflektiert durch ihren Feldeintritt angenommen und akzeptiert. Diese Regeln werden als „ilusio“ bezeichnet. vgl. (Bourdieu 2001, S. 110; Hillebrandt 1999, S. 15; Aldridge 1998, S. 4)

„Die Struktur des Feldes gibt den Stand der Machtverhältnisse zwischen den am Kampf beteiligten Akteuren oder Institutionen wieder, bzw., wenn man so will, den Stand der Verteilung des spezifischen Kapitals, das im Verlauf früherer Kämpfe akkumuliert wurde und den Verlauf späterer Kämpfe bestimmt.“ (Bourdieu 2001, S. 108)

Spezifisch für jedes Feld ist die ungleiche Kapitalverteilung zwischen den Akteuren. Aus dieser Verteilung der Kapitalien ergeben sich die objektiven Positionen der Beteiligten, aber auch die Kräfteverhältnisse und die daraus resultierenden Strategien der AkteurInnen im Feld. (Iser 1983, S. 67)

Grundsätzlicher Inhalt der Auseinandersetzung ist immer die Macht und die Anteile am jeweils feldspezifischen symbolischen Kapital. Dieser Grundkonsens über die Existenz eines feldspezifischen symbolischen Kapitals und damit über die Basis der Spielregeln für die Auseinandersetzung bezeichnet Bourdieu als „Doxa“ bzw. „feldspezifische Illusio“ eines Praxisfeldes. Für AkteurInnen außerhalb des Feldes ist sowohl die Doxa als auch das Spiel nicht nachvollziehbar – die Wirkung der Illusio ist daher auch die Wirkung des Feldes, mit dem Enden dieser Feldeffekte sind auch die Grenzen des Feldes erreicht. Vgl. (Bourdieu et al. 2001, S. 109; Hillebrandt 1999, S. 16; Fuchs-Heinritz, König 2005, S. 146f; Bohn 2005, S. 64)

Der Habitus ist auch im Feld die strukturierende Struktur – er determiniert die geltenden „Spielregeln“ und definiert das symbolische Kapital, die Spieleinsätze und die möglichen Positionen im sozialen Raum, sowie ihre Zusammenhänge. (Iser 1983, S. 69)

„Wer sich am Kampf beteiligt, trägt zur Reproduktion des Spiels bei, indem er dazu beiträgt, den Glauben an den Wert dessen, was in diesem Feld auf dem Spiel steht, je nach Feld mehr oder weniger vollständig zu reproduzieren.“ (Bourdieu 2001, S. 109)

Natürlich gibt es zwischen diesen „Feldillusionen“ und den Wünschen der Akteurinnen Übereinstimmungen. Jeder Feldakteur hat seine eigenen Bedürfnisse, die er mit Hilfe des Feldes befriedigen will: „Jedes Feld (das religiöse, künstlerische, ökonomische, usw.) bietet seinen Akteuren über die besondere Form, in der es die Verhaltensweisen und Vorstellungen regelt, eine auf eine besondere Form von illusio gegründete legitime Form, ihre Wünsche zu verwirklichen.“ (Bourdieu 1999, S. 239)

„Das Feld als Raum der Kräftebeziehungen zwischen Akteuren und Institutionen, das immer auch ein Raum des Möglichen ist, hat die Eigenschaft, den sozialen Akteuren die Verfügung über das kulturelle, ökonomische und soziale Kapital abzuverlangen, das dazu erforderlich ist, bestimmte Positionen in einem spezifischen Praxisfeld zu besetzen. Folglich setzt die objektivierte, Ding gewordene Geschichte der Praxisformen eines Feldes inkorporierte, zu einem Habitus geformte Geschichte bei den sozialen Akteuren voraus, die in einem Feld agieren.“ (Hillebrandt 1999, S. 13)

Felder sind anhand von Gegensätzen zwischen AkteurInnen konstruiert, also dichotom. Verschiedene Spieler im Feld haben unterschiedliche Strategien und unterschiedliche Einsätze, sozusagen Investitionen an feldspezifischem Kapital in das Spiel, das im Feld um die Gestaltungsmacht, die Orthodoxie abläuft. Vgl. (Müller, S. 36)

„Diejenigen, die bei gegebenen Kräfteverhältnissen das charakteristische Kapital-(mehr oder weniger vollständig) monopolisieren, neigen eher zu Erhaltungsstrategien – Strategien, die im Feld der Produktion kulturelle Güter tendenziell die Orthodoxie vertreten -, die weniger Kapitalkräftigen dagegen (die oft auch die Neuen und damit meist Jüngeren sind) eher zu Umsturzstrategien – Strategien der Häresie. Erst die Häresie, die Heterodoxie als kritischer, oft im Zusammenhang mit der Krise auftretender Bruch mit der Doxa brigt die Herrschenden dazu, ihr Schweigen zu brechen und jenen Diskurs zur Verteidigung der Orthodoxie, des rechten Denkens im doppelten Sinne, zu produzieren, mit dem ein neues Äquivalent zur schweigenden Zustimmung der Doxa geschaffen werden soll.“ (Bourdieu 2001, S. 109)


Literaturverzeichnis

Aldridge, Alan (1998): Habitus and Cultural Capital in the Field of Personal Finance. In: Sociological Revue, Jg. 46, H. 1, S. 1–23. Online verfügbar unter 10.1111/1467-954X.00087.

Anheier, Helmut K.; Gerhards, Jürgen; Romo, Frank P. (1995): Forms of Capital and Social Structure in Cultural Fields: Examining Bourdieu’s Social Topography. In: American Journal for Sociology, Jg. 100, H. 4, S. 859–903.

Bohn, Cornelia (2005): Eine Welt-Gesellschaft. Operative Gesellschaftskonzepte in den Sozialtheorien Luhmanns und Bourdieus. In: Colliot-Thélène, Catherine; Bourdieu, Pierre (Hg.): Pierre Bourdieu Deutsch-französische Perspektiven. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1752), S. 43–78.

Bohn, Cornelia; Hahn, Alois (2007): Pierre Bourdieu (1930-2002. In: Käsler, Dirk (Hg.): Von Talcott Parsons bis Anthony Giddens. 5., überarb., aktualisierte und erw. Aufl. München: Beck (Beck’sche Reihe, 1289), S. 289–310.

Bourdieu, Pierre (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel, Reinhard (Hg.): Soziale Ungleichheiten. Göttingen: Otto Schwartz; Schwartz (Soziale WeltSonderband, 2), S. 183–198.

Bourdieu, Pierre (1999): Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Bourdieu, Pierre (2001): Über einige Eigenschaften von Feldern. In: Bourdieu, Pierre; Beister, Hella; Schwibs, Bernd (Hg.): Soziologische Fragen. Dt. Erstausg., 1. Aufl., [Nachdr.]. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 1872 = N.F., 872), S. 107–114.

Bourdieu, Pierre; Beister, Hella; Schwibs, Bernd (Hg.) (2001): Soziologische Fragen. Dt. Erstausg., 1. Aufl., [Nachdr.]. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 1872 = N.F., 872).

Fuchs-Heinritz, Werner; König, Alexandra (2005): Pierre Bourdieu. Eine Einführung. Konstanz: UVK-Verl.-Ges. (UTB Soziologie, 2649).

Hartmann, Michael (2002): Leistung oder Habitus? Das Leistungsprinzip und die soziale Offenheit der deutschen Wirtschaftselite. In: Bittlingmayer, U. Eickelpasch R. Kastner J. Rademacher C. (Hrsg.) (Hg.): Theorie als Kampf? Zur politischen Soziologie Pierre Bourdieus. Opladen: Leske + Budrich, S. 361–377.

Hillebrandt, Frank. (1999): Die Habitus-Feld-Theorie als Beitrag zur Mikro-Makro-Problematik in der Soziologie – aus der Sicht des Feldbegriffs. Technische Universität Hamburg-Harburg. Hamburg. (Working Papers zur Modellierung sozialer Organisationsformen in der Sozionik, WP2).

Iser, Maria (1983): Der Habitus als illegitimer Normalfall gesellschaftlicher Reproduktion. Die soziale Bedeutung von symbolischer Gewalt und strukturgesteuertem Lernen und Handeln in der Theorie von Pierre Bourdieu. Dissertation. Betreut von Michael Hofmann und Stefan Titscher. Wien. Wirtschaftsuniversität Wien, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre.

Krais, Beate (2005): DIe moderne Gesellschaft und ihre Klassen – Bourdieus Konstrukt des sozialen Raums. In: Colliot-Thélène, Catherine; Bourdieu, Pierre (Hg.): Pierre Bourdieu Deutsch-französische Perspektiven. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1752), S. 79–105.

Müller, Hans-Peter: Handeln und Struktur. Pierre Bourdieus Praxeologie, S. 21–42.

Müller, Hans-Peter (1986): Kultur, Geschmack und Disinktion. Grundzüge der Kultursoziologie Pierre Bourdieus. In: Neidhardt, Friedhelm; Lepsius, M Rainer; König, René (Hg.): Kultur und Gesellschaft. René König, dem Begründer der Sonderhefte, zum 80. Geburtstag gewidmet. Opladen: Westdt. Verl. (Kölner Zeitschrift für Soziologie und SozialpsychologieSonderheft, 27), S. 162–189.

Müller, Hans-Peter (1992): Die soziokulturelle Ungleichheitstheorie. In: Müller, Hans-Peter (Hg.): Sozialstruktur und Lebensstile. Der neuere theoretische Diskurs über soziale Ungleichheit. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 982), S. 238–351.

Schürz, Martin (23. 6. 1999): Feine Unterschiede der Kapitalarten bei P. Bourdieu. Veranstaltung vom 23. 6. 1999. Wien. Veranstalter: Republikanischer Club.

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