Stahlharter Käfig der Hörigkeit? Social Media Einsatz in bürokratisch organisierten Organisationen.

Social Media als Schlagwort oder Buzzword in einer digitalisierten Welt ist mehr als nur ein weiterer Kommunikationskanal für die PR-Abteilung. Warum das genau so ist, will ich in diesem Beitrag ein wenig ausrollen, ein Beitrag, der als Ergänzung zur Folienpräsentation auf der „Social Media Xtreme-Konferenz“ am 13. Dezember in Wien gedacht ist.

Obwohl jeder Marketing- und Kommunikationsmanager schon aus Gründen des Eigennutzes Social Media umsetzen will – am liebsten „hic et nunc“ – stellt man dann oft fest, dass es erstens nicht so leicht ist und zweitens die Ergebnisse alles andere als hervorragend sind. Oder wie es Avinash Kaushik bereits 2009 so schön formuliert hat:

OH: Social media is like teen sex. Everyone wants to do it. No one actually knows how. When finally done, there is surprise its not better.

Theoretisches zu Beginn: der soziale Wandel

Social Media ist für mich, als Sozioökonom mit dem Theoriewerkzeug der Soziologie ausgerüstet, der nachhinkende reflexive Wandel im Feld der Kommunikation. Was heißt das? Betrachtet man die westliche Gesellschaft seit den 1970er-Jahren, so zeichnet sich der Wandel der Institutionen deutlich ab. Waren früher zentrale politische, theologische und wissenschaftliche Instanzen Zentren der Macht, die den Rest im Sinne bürokratischer Strukturen steuern konnten, so hat sich das in den vergangenen 40 Jahren dramatisch verändert.

Auch familiäre Strukturen sind nicht die alten: Der Vater als Familienoberhaupt hat schon lange nicht mehr die letzte Entscheidungsgewalt. Damit einher geht allerdings auch ein Kontrollverlust. Dynamiken entwickeln sich emergent – also von selbst – und sind nicht mehr von einer Stelle steuerbar. Manches lässt sich nicht mehr aufhalten, wenn es einmal begonnen hat. Auch die Organisationsformen und die Anforderungen an die Organisationen haben sich dramatisch verändert.

Der digitale Wandel der Kommunikationskultur

Analoge Veränderungen haben sich in der Kommunikationskultur erst seit dem Millenium ergeben. Mit dem Wechsel der Daten von den Großrechnern in die „Cloud“, verbunden mit der Allgegenwärtigkeit digitaler Connectivity, hat sich auch eine neue Kommunikationskultur etabliert. Nicht mehr die klassische mediale Verbreitung der Information mittels Massenmedien im Sinne einer 1:n Verbindung ist das Zauberwort, sondern Information just in Time und im Sinne von reduzierten Hierarchien auch bi- bzw. multidirektional innerhalb der eigenen Netzwerke. Es geht in der Kommunikation viel mehr um das Zuhören, als um das Verlautbaren. Fragen stellen ist die Devise, nicht Antworten geben.

Was heißt das für die Anwendung in bürokratisch organisierten Organisationen?

Klare Regeln und eine hohe Vorhersehbarkeit – das macht die Bürokratie aus. Nicht zu Unrecht bezeichnete Max Weber, der große deutsche Gründervater der Soziologie, die Bürokratie als „stahlharten Käfig der Hörigkeit“ und er meinte das weniger zynisch als resignierend. Eben diese Art der Organisation von vielen Menschen bedarf klarer und eindeutiger Hierarchien und Arbeitsanweisungen, damit die Dinge, die passieren müssen, auch wie von den Sozialtechnikern geplant passieren. Das ist auch schon der erste Grund, warum egalitäre und nichthierarchische Kommunikationsformen in hierarchischen Organisationen besonders schwer zu etablieren sind.

Der erste Reflex ist, das Ganze zu verbieten: Facebook wird auf den PCs oder in den Proxies gesperrt, dem subalternen Personal wird das „berufliche“ Engagement im Netz verboten und die Marketing- oder PR-Abteilung wird angewiesen, vorformulierte Stehsätze in den Medien unreflektierbar zu verlautbaren. Eine andere Variante ist, das Medium komplett zu ignorieren und alles einfach „seinen Lauf  zu lassen“. Sollen die Mitarbeiter doch in den Medien machen, was sie wollen.

Partizipative Techniken als Weg aus dem Dilemma

Die Feldlogik der Sozialen Medien für den eigenen Umgang mit ebenjenen Medien zu übernehmen kann eine Lösung sein. Proaktive Kommunikation ohne hierarchische Barrieren, gemeinschaftliches Erarbeiten von Strategien und Policies und die interne wie externe Kommunikation dieser Vereinbarungen können ein Weg sein. Dazu braucht es aber organisationsweit eine Bereitschaft zur Veränderung, denn Authentizität ist eine der Grundlagen erfolgreicher Social Media Kommunikation.

Best Practices aus dem Roten Kreuz

Das Österreichische Rote Kreuz setzt die sozialen Medien schon einige Jahre in der internen wie externen Kommunikation im Sinne von Einzelmaßnahmen im Rahmen integrierter Kommunikationsstrategien ein. Beispielsweise im Bereich der Pflege des Markenimages, im Bereich der Awareness-Steigerung für eine vergessene Katastrophe, oder um auf internationale Gedenktage aufmerksam zu machen.

Wichtig ist es, medienadäquat zu handeln und der eigenen Organisation die Möglichkeit zu geben, sich auf die Logik des Kommunikationskanals einzustellen – das gilt natürlich auch vice versa.

2 Kommentare

  1. Hallo Gerald, vielen Dank für diesen Erklärungsansatz für das ‚Hinter-her-Hinken‘ bürokratischer Organisationen. Du hast Recht, den produktiven Einsatz partizipationsorientierter Medienformate macht vor allem der Kontrollfaibe kompliziert. Der ist aber nicht nur der bürokratischen Herrschaft zu eigen (würde ich jetzt zumindest mal als These in den Raum stellen). Auch charismatisch Herrschaft dürfte so ihre Probleme mit Partizipation haben. Doch wie dem auch sei, eine Frage brennt mir schon eine Weile au der Zunge: woher nimmst du die Bezeichnung des ’stahlharten Gehäuseses‘ bei Weber für diesen ganzen Organisationstyp? Meinte der das nicht als eine Art Fluchtpunkt bürokratischer Herrschaft? Das stahlharte Gehäuse ist doch (noch) keine Realität, wir denken doch noch.

    1. Danke Hannes für Deine Anmerkungen.

      Die „Charismatische Herrschaft“ habe ich – zumal mein Publikum zumeist nicht die nötige Weber-Literacy hat – einfach weggelassen. Natürlich ist das stahlharte Gehäuse der Hörigkeit nach Weber aus dessen Sicht so etwas wie die apokalyptische Vision, in welche Richtung sich solche Herrschaft entwickeln könnte. In der Rezeption wird das aber durchaus als Eigenschaft derartiger Systeme verwendet, gerade in der „Verwaltungssoziologie“ ist das offenbar eine Selbstzuschreibung der öffentlichen Verwaltung, die den Leidensdruck der systemzugeteilten zum Ausdruck bringt und für moderne Varianten des „New Public Management“ aufnahmebereit machen soll.

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