Out of Facebook: Stiglitz, Schmidt und der Neoliberalismus

Zur Genese des vorliegenden Textes muss ich erklären, dass dieser am Tag vor Silvester zunächst als kurze Facebook-Note entstand. Ich wollte mich etwas ausführlicher auf eine Replik zu einem von mir geposteten Link auf den Gastkommentar von Joseph Stiglitz im Standard äussern. Nach einigen Tagen fand ich allerdings, dass das vielmehr ein Blogpost sei, als eine Facebook-Nachricht, daher übernehme ich diesmal den Text in die andere Richtung als sonst und verwende diesen Blog als Sekundärmedium.
Nun noch eine Replik auf Peter Schmidt mit ein bisserl weniger Emotion dafür mit ein bisserl mehr an Worten:

Peter meinte
Ausgelöst vor allem durch Gier der armen US-Häuselbauer mit Finanzierung auf Pump über jede Leistungsfähigkeit hinaus. Niemand muss das tun. Aber von den Banken werden solche Finanzierungen allseits erwartet mit super niedrigen Zinsen, dazu tolle Haben-Zinsen für Einlagen. Und wenn das dann nicht klappt, sind sie auch schuld.

Ich fand es in jedem Fall mehr als rabulistisch, die Behauptung aufzustellen, dass die Krise (in den USA) in Form des externen Drucks auf die Hypothekenbanken – sozusagen durch die Einmischung der Gesellschaft oder des des Staates in das Banksystem erfolgt ist und daher diesem keinerlei Schuld für die darauffolgenden Dominoeffekte anzulasten sei. In diesem Fall, lieber Peter, sitzt du der selbsterfüllenden Prophezeiung der neoliberalen Denker auf, deren Realitätskonstruktion keinerlei andere Lösungen kennt. Fehler im System müssen sich (immer) auf die Einmischung von Aussen zurückführen lassen, weil der Markt allein, regelt immer alles selbst.

Quelle: http://greenewable.files.wordpress.com/2008/10/invisiblehand.jpg
Diese Argumentation ist ja sogar Neo-Neoliberalismus und genau das prangert Stiglitz zu Recht in seinem Kommentar auf derstandard.at an. Die „unsichtbare Hand“ des Marktes, die im Rahmen des Booms des Neoliberalismus dem armen Adam Smith zugeschrieben wurde, der diese Metapher im „Wohlstand der Nationen“ (Original übrigens hier) überhaupt nur einmal verwendet und da in komplett anderem Zusammenhang. „Die unsichtbare Hand“, so Stiglitz, sei deswegen nicht in Erscheinung getreten, weil es sie schlichtweg nicht gibt. Laufende und immer steigende Gier weniger Alphatiere im Finanzsektor führten zur Genese von Derivaten, deren Konstruktion schlussendlich niemand mehr verstanden hat, das hat nichts mehr mit den Krediten zu tun gehabt.
Quelle: www.larryevansphotography.com

Radikale Vertreter der ökonomistischen Theorie, wie beispielsweise Gary Becker, der dafür sogar einen Nobelpreis erhalten hat, versuchen sogar, soziales Verhalten mit diesen Vereinfachungen zu erklären. Becker selbst sieht seinen ökonomischen Ansatz als Erklärungsmodell für jegliches menschliche Verhalten. Es ist in seinen Augen mehr als eine sozialwissenschaftliche Mikrotheorie, weil es auch nicht-soziales zu erklären versucht.

„Ich bin der Auffassung, dass die besondere Stärke des ökonomischen Ansatzes darin liegt, dass er eine breite Skala menschlichen Verhaltens integrativ erfassen kann.“ (Becker 1982: 3)
Doch, wenn man mit einem Satz die Welt erklären will, dann muss man seine Bedeutung sehr breit anlegen. Egal, ob es um Kaffeekonsum, Ehe, die Wirkung der Todesstrafe, oder um die Entscheidung einer Autoroute geht – Beckers Theorie hat scheinbar Lösungen für alles. Was auf der Strecke bleibt ist die soziale Realität als vernachlässigbare Randbedingung. Diese wurde Schritt für Schritt durch eine ökonomische Realität ersetzt, ganz im Sinne des zuvor zitierten Volkswirtschaftlichen Modellbegriffs.

Quelle: diePresse.at online: http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/445025/index.do
Gerade in Zeiten der einfachen Erklärungen eignen sich Theorien wie diese, weil es für sich in keinster Weise in Anspruch nimmt, selbst normativ zu sein, obwohl im Hintergrund die Ökonomisierung aller Lebensbereiche laufend mitschwingt. Es verwundert trotzdem nicht, dass Becker für diese Ansätze einen Nobelpreis erhalten hat. Auf der einen Seite war es der Preis für Wirtschaftswissenschaften – damit wurde die Theorie auch aus der ökonomischen Perspektive gesehen – und auf der anderen Seite passt eine Theorie wie diese sehr gut in die neoliberale Rationalität einer globalisierten Welt.

Ob die Krise nun von den Medien gemacht ist, oder nicht ist schlussendlich irrelevant, zumal sie objektiv und auch subjektiv gerade für die Bedürftigen da ist. Die Realwirtschaft hat vom Einbruch in der Finanzwirtschaft Schaden genommen und dieser betrifft einzelne Menschen. Wenn man ansieht, wie viele Menschen nach den neuesten Statistiken armutsgefährdet sind, so ist jeder Euro, der statt in die Verbesserung der Lebensbedingungen aller in die Rettung von Finanzinstitutionen investiert werden muss, um noch grössere Schäden zu vermeiden, ein verlorener Euro. Das und nichts anderes sagte Stiglitz, er bekrittelte – wie übrigens auch viele andere mehr oder weniger einflussreiche ÖkonomInnen – die Tatsache, dass Gewinne immer gerne privatisiert werden, während die Verluste kommunalisiert werden, also von uns allen im Wege des Staates beglichen werden.

Doch Stiglitz geht noch weiter in seiner Argumentation, denn er nennt fünf Lehren aus der Krise und die bisher diskutierten Argumente betreffen lediglich seine erste Lehre. Das ist auch der Grund, warum ich Dir ökonomische Literatur nahegelegt habe, in meiner ersten Reaktion. Denn natürlich kann man über die einzelnen Thesen und Argumente unterschiedlicher Meinung sein, ob jetzt Keynesianische Politik immer funktioniert, oder nur in manchen Fällen, wie das mit der Geldpolitik und der Inflationsbekämpfung als ihr heiligstes Ziel ist, und ob Innovationen zu einer effizienteren und produktiveren Ökonomie führen – doch einfach Pauschal einen wirklich gut geschriebenen und in meinen Augen auch ziemlich auf den Punkt kommenden Artikel als „Schwachsinn“ zu titulieren schlägt in meinen Augen doch auf die Person zurück, die das geschrieben hat.

Quelle: Life: John Maynard Keynes during the Monetary Conf.

Es muss ja nicht gleich John Maynard Keynes sein, aber beispielsweise der Artikel oder das Buch „The Nature of the firm“ aus dem Jahr 1936 von Ronald Coarse legen auch schon die Synapsen so weit um, dass unterschiedliche Realitäten zum ökonomischen System gedacht werden können, als dass das die neoliberale „Moral“-Theologie zulässt.

Ach ja, danke Dir für Dein „Stöckchen“, sonst hätte ich mich nicht zu dem Text hinreissen lassen …

Liebe Grüsse verbunden mit den besten Wünschen zum bevorstehenden Jahreswechsel,

Gerald

2 Kommentare

  1. Hallo Gerald, vielen Dank für diesen erhellenden Artikel. Deinen Schluss aus der allgegenwärtigen Ökonomisierung finde ich besonders treffend.
    „Was auf der Strecke bleibt ist die soziale Realität als vernachlässigbare Randbedingung.“
    Traurig aber wahr …

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