Japan, Erdbeben und Atomgefahr – Was ist hier ein Risiko?
Derzeit sind in Japan viele hundert Tausend Menschen obdachlos, sind auf die Hilfe von staatlichen Stellen und Organisationen angewiesen um die grundlegenden Bedürfnisse wie Nahrung, Sicherheit oder Hygiene zu erhalten. Viele Tausende Familien vermissen Verwandte, Kinder vermissen ihre Eltern. Hier gibt es kurzfristige und dringende Not, die es zu lindern gilt, Not für die der humanitäre Imperativ gilt.
Natürlich geht von den beschädigten Kernkraftwerken eine nicht zu unterschätzende Gefahr aus. Radioaktives Material könnte (oder ist bereits) in die Luft austreten, wie beim Supergau in Tschernobyl könnte radioaktiver Staub mit dem Wind auch viele Kilometer weit weg vertragen werden. Die davon ausgehende Gefahr ist allerdings deutlich abstrakter und vor allem sind die Schäden auch langfristiger und stochastischer Natur. Die Zone der unmittelbaren und direkten Gefahr rund um die Kraftwerke im Ausmaß von rund 20 km wurde in Japan evakuiert. Das ist die Region, wo man ggf. direkt und akut Schaden erleiden kann.
Wie Ulrich Beck, deutscher Soziologe in seinem inzwischen zum Standardwerk der soziologischen Literatur gewordenem Buch „Risikogesellschaft“ bereits 1986 geschrieben hat, ist Risiko das Ergebnis eines gesellschaftlichen Konstruktionsprozesses und damit entkoppelt von den technischen Risikoeinschätzungen, wie sie von Expertinnen und Experten gemacht werden. Nicht verwunderlich, dass die Thesen Ulrich Becks – sein Werk entstand unter Eindruck der Katastrophe von Tschernobyl – anlässlich der potentiellen Gefahren die von den japanischen Kernreaktoren ausgehen, wieder in den Mittelpunkt soziologischen aber auch gesellschaftlichen Interesses kommen könnte.
„Die Bedrohungen der Zivilisation“, so Beck (Risikogesellschaft, Frankfurt:Suhrkamp, S 96), „lassen eine Art »Schattenreich« entstehen, vergleichbar mit Göttern und Dämonen der Frühzeit, das sich hinter der sichtbaren Welt verbirgt und das menschliches Leben auf dieser Erde gefährdet.“
Die Medien, so Beck, haben einen großen Einfluss auf die Konstruktion dieser Risikorezeption – oder nach Luhmann (Die Realität der Massenmedien, VS Verlag:Opladen, S 4) :„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“.
Beim Thema Kernkraft beginnen viele Personen Angst zu haben, Berichte über einen möglichen „Störfall“ am anderen Ende der Welt lösen in Österreich Angst und Panik aus. Ich versuche daher hier einen möglichst neutralen Überblick über das Thema zu geben, ohne den Eindruck erwecken zu wollen ich seien pro oder kontra „Kernkraft“. Meine Perspektive ist einerseits die eines Naturwissenschaftlers, der technische Chemie erlernen durfte und andererseits die des Sozialwissenschaftlers und Sozioökonoms, der sich im Einsatzmanagement des Österreichischen Roten Kreuzes direkt mit den aktuellen humanitären Dilemmata beschäftigt.
Was nicht passieren kann – und das wird aufgrund der Assoziation „Atombombe – Atomkraftwerk“ leider bei vielen Menschen befürchtet – ist eine bombenartige Explosion mit dem bekannten „Atompilz“, denn genau diese Energieentladung, die bei der Atombombe ausgelöst wird, findet ja im Kernkraftwerk „kontrolliert“ statt. Im Moment so entnehme ich den wohl nicht mehr ganz „kontrolliert“ aber zumindest „gezähmt“.
Natürlich ist mit radioaktiven Isotopen nicht zu spaßen, allerdings ist die Einwirkung auf Personen eine deutlich andere, als dies bei primär von Strahlung betroffenen Menschen (etwa die Liquidatoren in Tschernobyl) der Fall ist. Aus meiner persönlichen Sicht – und das deckt sich auch mit den Expertenmeinungen (oder hier) – müssen die Prioritäten im humanitären Bereich im Moment auf die Betroffenen Menschen fokussiert werden, und nicht auf potentielle Schäden durch Strahlung in fünf oder zehn Jahren. Wenn dieser Fokus auch auf die mediale Berichterstattung überschwappen würde, dann könnte man möglicherweise auch die grundlose Angst in der Bevölkerung hintanhalten. Denn Angst ist für die moderne Gesellschaft die schlechteste aller Motivationen, um Handlungen zu provozieren.