Wer kennt das Österreichische Rote Kreuz?
Das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) ist eine föderal organisierte Non-Profit-Organisation mit annähernd 60.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – zum größten Teil Ehrenamtliche – in ganz Österreich. Der umfassende Aufgabenbereich umfasst neben der flächendeckenden Bereitstellung von Rettungs- und Krankentransportdienst auch Pflege- und Betreuungsleistungen (zum Teil auch stationär,) Blutspendedienst, Katastrophenhilfe im In-und im Ausland, Unterstützungs- und Hilfsangebote im Migrationsbereich, Suchdienst, Jugendarbeit an den Schulen und in eigenen Jugendgruppen, sowie Entwicklungszusammenarbeit. Das Generalsekretariat des Österreichischen Roten Kreuzes ist als Dachverband in vielen Bereichen koordinierend und vernetzend tätig, weil die operativen Angebote von den Landesverbänden und Dienststellen erbracht werden. Je nach Leistungsbereich gibt es manchmal auch Richtlinienkompetenz, beispielsweise was Lehrmeinung betrifft.
Warum eine Social Media Policy?
Aufgrund der Tatsache, dass die föderale Organisation auch föderal kommuniziert – Landesverbände haben genauso eigene Kommunikationsverantwortliche mit eigener Agenda, wie zum Teil auch bei den Dienststellen, war es den Verantwortlichen nach dem breiten Durchbruch der sozialen Medien bald klar, dass es hier gemeinsame Standards geben muss, um ein einheitliches Kommunizieren zu sichern. Im Bereich der Webkommunikation ist das in den vergangenen fünf Jahren durch die Implementierung eines gemeinsamen bundesweiten Rotkreuz-Portals unter Typo3 gelungen, das alle verschiedenen individuellen Rotkreuz-Organisationseinheiten Österreichs in einem Portal zusammenfasst: Einheit in der Vielfalt, sozusagen.
Der Wunsch nach einheitlichen Richtlinien für alle Organisationsmitglieder – heute sagen wir dazu Social Media Policy – kam aus dem Bereich der Landesverantwortlichen, für die aufgrund der großen Zahl der Dienststellen die internen Herausforderungen durch unkoordinierte und heterogene Kommunikation am größten waren.
Der Prozess zur Social Media Policy
Nach dem Studium vieler unterschiedlicher Social-Media-Richtlinien (Klaus Eck hat da eine gute Liste) war mir der grobe Rahmen dazu bekannt und klar. Auch die Social Media Guidelines der internationalen Rotkreuz-Föderation (zusätzlich gibt es noch ein Handbuch zur Implementierung für nationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften) lieferten einige Zusatzaspekte, um den Rotkreuz-Kontext mit zu erfassen. Timo Luege beschreibt in seinem Blog die Entstehung der Guidelines für die internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Föderation.
Autopoiesis oder Top-Down-Ansatz
Hinsichtlich des Prozessdesigns gab es für mich zwei verschiedene Varianten. Entweder schreibe ich selbst Vorschriften, versuche im Sinne Bourdieus mich als „Orthodoxie“ zu begreifen, die die Regeln des Feldes vorzugeben glaubt, die dann möglicherweise nur auf dem Papier existieren (und dieses nicht wert sind, weil sie am Zielpublikum vorbei entwickelt werden), oder ich nutze den partizipativen Charakter des „Web2.0“, ich verlasse mich auf den Rückkanal der bidirektionalen sozialen Medien und versuche die Social Media Policy als eine Art autogenerierte Norm zu entwickeln, deren Autopoiesis ich nur katalysieren kann. Der zweite Weg hat zudem den Vorteil, dass das Commitment der von der Norm betroffenen höher wird, weil ja alle (potentiell) in der Entstehung des Papiers eingebunden waren.
Runde 1: interne Verantwortungsträger
Es wurde daher ein Rahmen der Policy entwickelt, die unterschiedlichen Perspektiven, die in jedem Falle abgedeckt werden müssen wurden festgelegt und einmal ausformuliert. Dieser Text wurde in ein Wiki (Achtung: Das Wiki ist nicht mehr aktuell, weil es von vielen Bots entstellt wurde!) gestellt und im ersten Schritt intern an die verantwortlichen Landesverbands-Webmaster und Kommunikatoren zur eigenen Bearbeitung weitergeleitet.
Runde 2: alle internen Stakeholder
In der zweiten Runde einige Wochen später wurden per Newsletter-Mail und Forum alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingeladen, an den Vorschriften zu partizipieren, diese mitzugestalten und Bereiche aufzuzeigen, die bis jetzt noch nicht mit überlegt wurden, oder solche, die möglicherweise überreguliert werden würden. Dieser Zeitraum betrug einige Wochen.
Runde 3: Die Blogosphere (bzw. Facbook-, Twitter-Community)
In der dritten Runde haben wir externe im Sinne eines „online Volunteering“-Projekts eingeladen, ihre Kommentare abzugeben, selbst mittels Wiki am Prozess der Erstellung einer Social Media Policy des Österreichischen Roten Kreuzes mitzuarbeiten und damit die Organisationszukunft des ÖRK mit zu gestalten. Dieser Prozess-Schritt dauerte ebenfalls einige Wochen. (leider schaffe ich twitter im Moment nicht zu überreden, mir ältere Tweets mitzuteilen, daher kein Link)
Runde 4: Kodifizierung der Vorschriften im Roten Kreuz
Nach einigen Monaten Vorarbeit existierten nun Stakeholder-koordinierte Richtlinien, die allerdings bis jetzt noch keinerlei Gültigkeit hatten. Daher waren die nächsten Schritte, diese Richtlinien wieder zurück in die Gremien zu spielen, von denen der Auftrag zur Erstellung kam. Dazwischen – danke an meine Kollegin für den Vorschlag – gab es noch ein Lektorat, um die Schreibschwäche der Crowd zu kompensieren, das MediaWiki-look&feel musste zudem einem ansprechenden Layout weichen.
Zunächst wurden die Richtlinien den Landesgeschäftsführern in einer Tagung präsentiert und zur Abstimmung gebracht (diese erfolgte einstimmig). Einige Tage später beschloss dann auch die so genannte Präsidentenkonferenz, unser statutarisches Gremium der Landesverbanspräsidenten mit dem Präsidium des ÖRK, die Social-Media-Policy, die dadurch zur in ganz Österreich beim Roten Kreuz gültige Vorschrift wurde.
Conclusio
Natürlich bin ich – nach fast einem Jahr gemeinsamer Arbeit – stolz, ein solches Produkt mit einem stark Stakeholder-fokussiertem Ansatz tatsächlich gemeinsam mit einer Vielzahl an Rotkreuz-Führungskräften, Rotkreuz-MitarbeiterInnen und auch externen Rotkreuz-Interessierten Social Media-ExpertInnen umgesetzt zu haben.Daher an dieser Stelle auch ein herzliches Dankeschön an alle, die an der Social Media Policy mitgearbeitet haben, die uns on- und offline mit Beiträgen, Tipps, Content oder durch die Vermittlung von Expertinnen unterstützt haben.
Zu Beginn war mir nicht ganz klar, ob diese Vorgangsweise tatsächlich zum Erfolg führen würde, inzwischen durfte ich bereits einige Male über die Policy und über den Prozess dort hin referieren, beispielsweise im April 2011 auf der re:campaign in Berlin (Podcast dazu von Hannes Jähnert).
Das ist mein erster Beitrag zur laufenden NPO-Blogparade zum Thema Social Media Policy, die von mir und von Hannes Jähnert gehostet wird und eigentlich die NPO-Blogparade reanimieren sollte. Vielleicht fühlt sich ja aufgrund meines Beitrags jemand berufen, selbst einen Blogbeitrag zum Thema zu schreiben?
(Diese Version 2 hat auch einen Titel)
Hallo Gerald, nur eine kleine Ergänzung zu Phase 3:
In deinem Stream finden sich drei Hinweise auf die Entwicklung der Social Media Policy des ÖRK. Zwei vom gleichen Tag und eines noch ein bisschen später (Ehrlich gesagt hätte ich gedacht, es wären mehr gewesen)
Das erste Mal hast du am Dienstag den 13. April 2010 darauf hingewiesen. Einmal selbst und einmal via Retweet des @rotkreuzat Accounts
-> http://twitter.com/#!/redcrosswebmast/status/12094117109
-> http://twitter.com/#!/redcrosswebmast/status/12094802655
Das dritte Mal hast du dann im NPO-Chat am Freitag den 23. April 2010 darauf hingewiesen „weil es gerade so gut passt[e]“. Die dazugehörige Runde der NPO-Blogparade war die 15. zum Thema Wissensmanagement.
-> http://twitter.com/#!/redcrosswebmast/status/12693636154
-> http://npoblogparade.wordpress.com/2010/03/31/15-runde-der-npo-blogparade/
Und da sag doch noch mal jemand, das Internetzeitalter wäre nicht gut dokumentiert 😀
Gruß
Hannes
Danke, Hannes!