Eine interessante Blogparade habe ich auf twentytwenty.at gefunden, in der es um den Umgang mit Informationen geht. Eine Möglichkeit für mich, endlich einmal auch außerhalb der NPO-Blogparaden dieses Format für mich auszuprobieren. Die Frage lautet: „Wie wird die Gesellschaft in Zukunft mit Informationen umgehen?“
Besonders interessant finde ich, dass die Fragestellung selbst den gesellschaftlichen Kontext, sozusagen in Form eines Makrobezugs auf (uns?) alle als „die Gesellschaft“ implementiert, die angerissenen Fragen jedoch wieder stark auf die transaktionsorientierten individuellen Lösungsmodelle abzielen, mit Informationen umzugehen.
Über die Natur von Informationen
Ein zu viel an Informationen, so meine erste These, hat es immer schon gegeben. Die Relevanz ist wohl das eine Kriterium, denn interessiert es wirklich, ob nun schon wieder eine Sekunde vergangen ist, die nächste Straßenbahn in 4 Minuten einfährt, mein Firefox der Meinung ist, er hätte die Seite fertig geladen, der laufende Text gerade 300 Wörter lang ist, oder wieder eine automatische Nachricht von Google Analytics über irgend eine Statistik eingegangen ist – um nur wenige der abertausenden Informationen zu zitieren, die im Laufe der Texterstellung auf mich eintrudeln – die laufende Musik von Hugh Laurie noch gar nicht erwähnt. Auch wenn das nur ein (post-) modernes Beispiel von Informationsschnittstellen ist, ging es einem Römischen Söldner oder einem Venezianischen Händler wohl ähnlich, wenn auch die Informationen aufgrund der jeweiligen kontextuellen Rahmenbedingungen anderer Natur waren und diese aufgrund anderer Sozialisation definitiv auch anders bewertet und verwendet wurden. Zu viel zu sein um alles verarbeiten zu können, das ist die generische Natur von Information. Die Relevanz wird nun vom Kontext, vom individuellen Framing gesteuert und von vielen anderen Parametern, hängt also von individuellen und sozialen Faktoren ab.
Sozialität als Metastruktur
Das Management von Informationen, und da sind wir bei der zweiten These, war schon immer ein soziales Phänomen. Zeitgeist, Kultur, persönliche Einordnung in die Gesellschaft und eigene Sozialisation heben schon immer bestimmt, welche Informationen in welchem Detailgrad einem zugänglich sind, welche davon auch verstanden werden und ob diese von Relevanz sind.
Ob diese Relevanz nun – rein technisch – aufgrund des Pageranks, des Edgeranks ermittelt wird, per Mail direkt vorgeschlagen, oder ob – wie einst am Stammtisch – lediglich das Gespräch darüber stattfindet, es findet ein kultureller und sozialer Informations-Selektionsprozess statt, der ganz spezifisch festlegt, welche Information nun anschlussfähig ist und welche nicht, um auch den Säulenheiligen der Systemtheorie zu beanspruchen. Es gibt also gesellschaftsimmanente Mechanismen zur Komplexitätsreduktion bei Informationen, Funktionen, die definieren, „welche Sau durch die Straßen getrieben wird“, wie man das in der Pressearbeit so treffend sagt. Dabei gibt es, je nach Milieu, Lebensstil, oder wie auch immer man sagen will Themen, die mit größerer Chance auch Relevanz entwickeln und andere, bei denen das nicht so ist, doch tendenziell hat das mit der Art und dem Inhalt der Information weniger zu tun, als mit dem Umfeld, den Promotoren.
Informationsgesellschaft?
Was die Informationsgesellschaft von modernen und vormodernen Gesellschaftsideen unterscheidet ist die breite niederschwellige Verfügbarkeit vieler Informationen, die früher nur elitären Schichten zugänglich waren. Musste man früher noch zur Bibliothek gehen, mit den Zettelkatalogen umgehen können, um dann einen Überblicks-Sammelband zu bestellen, der mit Glück Tags darauf verfügbar war, um über die Zitate „ad fontes“ gehen zu können, wieder mit Tagen der Informationsbeschaffung dazwischen, so liefern Suchmaschinen, Datenbanken und viele andere Quellen heute „on demand“ Informationen, damit bleibt aber auch für die reflexive Bearbeitung dieser Informationen weniger Zeit dazwischen – man muss andere Techniken anwenden, um dieses reflexive Informationsmanagement leisten zu können.
Die westliche Kultur der reflexiven Moderne hat es mit sich gebracht, dass sich auch die klassische Bürokratie den rascheren und breiter verfügbaren Informationen angepasst hat. Kein postalischer Brief nach 14 Tagen Wartezeit, sondern die Sofortreaktion auf Twitter, das Mail des Servicedesks 15 Minuten nach der Anfrage und die Ungehaltenheit darüber, dass ein Informations-Beschaffungs- und Bearbeitungs-Prozess einmal einige Tage dauert.
Wie Michel Foucault über die Internalisierung gesellschaftlicher Machtstrukturen als „Biopolitik der Macht“ anhand des Benthamschen Panopticons einen langen sozialen Prozess beschrieben hat, wurden diese Machtstrukturen in den vergangenen Jahren durch die laufende Informationspermeabilität der Menschen verstärkt. Smartphones, VPN-Zugänge und Tablets vermitteln „Freiheit“ vom Arbeitsplatz und sind in gewisser Weise trotzdem Diszipliniartechniken, die auch die Zeit außerhalb des „stahlharten Gehäuse der Hörigkeit“, wie Max Weber die Bürokratie genannt hat, strukturieren und der Totalität von Information unterordnen. Flexible Dienstzeiten gekoppelt mit „All-In-Verträgen“ verstärken diese Phänomene. Die permanenten Informations-Infusionen in den Datenströmen der RSS-Gesellschaft führen zum individuellen Gefühl des Versäumens relevanter Tatsachen, trotz permanentem Informationskonsums, zum schlechten Gewissen des Braven.
Braucht es Therapien?
Ich denke es braucht, um jetzt nach der pessimistischen Perspektive auch in die Glaskugel der Futurologen zu blicken, eine neue Kultur des Vergessens, des Nicht-Lesens und des Nicht-Wissens. Ein „Laissez-faire“ im Umgang mit dem permanenten Datenstrom und dem inneren Gefühl des „etwas versäumens“. Erst das loslassen ermöglicht die Reflexion und damit das Bewältigen von Informationen. Es werden also in Zukunft die Skills des Informationsbewältigers mehr gefragt sein, als die des Informationskonsumenten oder –Junkies.
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