Anarchie unter den Augen der Lipizzaner?

Gestern fand in der Spanischen Hofreitschule, um genau zu sein in ihren Stallungen, der heurige futuretalk der Telekom Austria Group (Eigendefinition:“ The Telekom Austria Group is the largest communications company in Austria and is successfully positioned on international markets“) mit prominentem Keynote-Speaker und interessanten Panelgespräch im Anschluss statt. Noch bevor Tim Berners-Lee mit seinem spritzigen und interessanten Vortrag begann, ja sogar bevor die hervorragende Moderatorin Conny Czymoch die Bühne betreten hatte wurden Ergebnisse einer Studie gemeinsam mit statistischen Daten zum Thema Internet, Social Media und Gesellschaft im Sinne eines Abklatsches des „Social Media Revolution“ Videos dem anwesenden Publikum per Vidiwall gezeigt.

Who rules the Internet-Society – Die Freiheit führt das Volk?

Der ganze Abend stand unter dem Thema „World Wide Web – Who rules the Internet Society“. Key Visual war eine photoshop-mutierte Version des Gemäldes „Die Freiheit führt das Volk“ , von Eugène Delacroix aus dem Louvre, bei dem die Jeanne d’Arc weibliche Allegorie der Freiheit (danke Thomas, für die Korrektur) statt der französischen Flagge eine Rote Fahne mit dem bekannten „Anarchie-Symbol“ führt und die in der Schlacht kämpfenden und gefallenen realen Personen aus dem Internet-Business deutlich ähnlich sehen.

Interessant ist die Gesellschaftsfähigkeit des „Anarchie“-Begriffs bei der (neo-)liberalen Elite im 21. Jahrhundert. Anarchie, als positiv konnotierter dissoziierter Wunschtraum jener heute über 40-Jährigen, die in den 1970ern heimlich unter der Decke die Sex Pistols gehört haben? Ich fürchte eher, dass hier gesellschaftliche Realitäten einfach falsch interpretiert werden. Gleichzeitig wird versucht, Zeitgeschichte unter anderen Vorzeichen zu reinterpretieren. Die Kampagne eines Stock-Konservativen Versicherungskonzerns unter Verwendung von „My Generation von the Who“ passt in dasselbe Schema. Die fehlende zentrale und autokratische Steuerung des Netzes, die postmoderne (oder radikalisiert moderne) Individualisierung der Menschen bei gleichzeitigem sozialen Wandel verunsichert nicht nur die von Berufs wegen oberflächlichen Marketing-Manager, die dann daraus einen Trend machen, die versuchen über diese neuronalen Muster der Freiheit einen Imagetransfer auf eine derzeit durchaus angeschlagene Marke zu schaffen. Motive der Freiheit, wie sie einst auch der Marlboro-Mann auf dem Pferd vermitteln sollte, womit wir wieder zurück bei den Pferden der Hofreitschule sind, bei der ich – habe ich das schon erwähnt ? – das „Spanische“ vermisse.

Revolution: Open Data, Transparenz, keine Patente.

„We can do it different!“ so Tim Berners-Lee in seiner Key-Note, in der er auch kurz erklärte, wie er das World Wide Web erfand. Weitere Zitate von Ihm kann man in den Techno/Internet/Medien-Ressorts der Österreichischen Tags- und Online-Zeitungen lesen, oder auf Twitter finden:

  • „the web works because it is decentralized”
  • “We can change the way society works”
  • “Open up the data“
  • „make the data open, government/ business/ country will work better“
  • “The web isn’t yet finished”

Insgesamt hat wohl jeder im Publikum im Rahmen des Vortrag von Burners-Lee (den die Queen angeblich geadelt hat, was in meinem Umkreis zur spontanen Idee geführt hat, ebensolche „Sirs“ zu ernennen) das gehört, was er erwartet hat. Die Netzneutralitäts-AktivistInnen, die Open Data Gurus, die Transparenz-Initiativenproponenten und viele andere … Danach folgte die Panel-Diskussion, an der neben Berners-Lee auch die Journalistin Antonia Rados („Ich bin nicht auf Facebook, ich habe genug Freunde“), die Deutsche Open Data Aktivistin Anke Domscheit-Berg, der Telekom Austria Group CEO Hannes Ametsreiter und der Programmierer und Oxford-Professor Viktor Mayer Schönberger teilnahmen. Hier wurden unterschiedlichste Themenkomplexe, die Lose mit dem Generalthema „Who rules the Internet Society“ in Zusammenhang standen, mehr oder weniger oberflächlich andiskutiert, wieder auf dem Niveau, um das inzwischen hungrige heterogene Publikum, wie das ein Greyling-Berater im persönlichen Small-Talk kurz erklärte.

Insgesamt war die Veranstaltung hervorragend organisiert, die Location war (nicht nur olfaktorisch) interessant, da einige Pferde aus ihren Ställen daran teilnahmen und immer wieder hörbar schnaubten, lediglich die Sanitation-Komponenten waren für die riesen Zahl an Menschen unterdimensioniert. Inhaltlich waren die Redner wertvoll, um in den Diskurs rund um Transparenz, offenes Netz, Netzneutralität, Grundrecht auf Kommunikation, … einsteigen zu können, auch die These von Mayer-Schönberger, dass das Netz lernen muss, zu vergessen war eine interessante Gedankenanregung für weitere Ideen. Den Querverweis zur Anarchie verstehe ich leider noch immer nicht. Vielleicht mag mir das jemand in den Kommentaren erklären?

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