Der erfahrene Notarzt, Chirurg und Tropenmediziner Günter Kittel berichtet von seinem Einsatz in Libyen.
Heute, es ist Mittwoch vormittags, bin ich auf dem Schiff von Tobruk zurück nach Malta und hoffe, euch dieses Mail am Abend von Malta schicken zu können.
Ursprünglich sollte wir, ein dreiköpfiges Team des IKRK Sonntag um 3 Uhr früh Malta Richtung Misrata mit der ‚Mara Dolores‘, einem modernen australischen Fährschiff, verlassen haben. Nach 2 Stunden Fahrt gab es Maschinenschaden, was vorläufige Umkehr bedeutete. Sonntag abends ging es dann endgültig los. In nicht ganz bequemer Stellung fanden wir etwas Schlaf. Am Montag Morgen versuchten wir dann, 24 Meilen vor der libyschen Küste, Kontakt mit dem libyschen Roten Halbmond aufzunehmen, was nicht gelang. Als wir uns langsam der Küste näherten, sahen wir in nicht allzu weiter Entfernung von den Hafenanlagen von Misrata immer wieder Rauch aufsteigen, offensichtlich von Explosionen. Dem Kapitän gelang es schließlich, mit dem Hafen über Funk zu sprechen. Er wurde angewiesen, zuzuwarten, die Lage sei zu gefährlich. Ein weiteres Schiff versuchte, in den Hafen einzulaufen. Kurze Zeit später kehrte es um, der Beschuss war zu nahe dem Hafen. Wir hörten über Funk, dass es NATO Luftschutz anforderte. Danach hörten wir Flugzeuge, ein wenig unheimlich, sie waren nur zu hören, zu sehen war nichts.
Nun, nach einiger Zeit liefen wir dann in den Hafen ein. Misrata hat eine riesige Hafenanlage, riesige Kräne von Waagner Biro. Aber alles schien völlig verlassen, unheimlich ruhig. Nach Stunden des Wartens tauchten einige Libyer auf, winkten uns zu und nach viel Gerede einigte man sich, die Flüchtlinge in ein relativ sicheres Areal des Hafens mit LKW’s zu bringen. Wir hatten eine Kapazität für 600 Leute. Hauptsächlich konzentrierten wir uns auf Flüchtlinge aus dem Sudan, dem Tschad, Niger und Mali, da diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt am verwundbarsten scheinen. Außerdem einigten wir uns, ein paar libysche Familien an Bord zu nehmen, sowie einige Verwundete.
Dann ging alles zwar extrem langsam, aber geordnet vonstatten. Alles Flüchtlinge wurden registriert, bekamen einen Platz zugewiesen. Natürlich kamen mehr als wir nehmen konnten. Aber auch die Abgewiesenen akzeptierten ohne Jammern ihr Schicksal, sie hatten ja begründete Hoffnung, mit dem nächsten Transport mitgenommen zu werden.
Wie ist die Lage in der Stadt? Interessanterweise waren die anwesenden Libyer sehr zuversichtlich und zeigten keinerlei Absicht, Misrata zu verlassen. Es gäbe noch genug Essen, Wasser- und Stromversorgung werde langsam zu Problem, aber man helfe einander mit viel Idealismus. Die Versorgung mit Medikamenten und medizinischen Instrumenten sei schlecht, aber man komme noch zurecht. Die Verletzten würden entweder nach Tunesien oder Ägypten gebracht.
Die Fahrt nach Tobruk dann dauerte 16 Stunden, eine etwas anstrengende Nacht, die See war rauh, und viele der über 600 Passagiere wurden seekrank. Abgesehen davon gab es keine Probleme. Die Mannschaft des Schiffes, in erster Linie Rumänen und Filipinos, verhielt sich vorbildlich.
In Tobruk warteten schon Ambulanzen und Busse, vom Roten Halbmond organisiert, um die Verletzten in Spitäler und die Flüchtlinge an die nahe ägyptische Grenze zu bringen.
Uns blieb nicht viel Zeit zur Erholung. Nach einer Stunde brachen wir zur 24-stündigen Fahrt zurück nach Malta auf, um uns auf die nächste Fahrt vorzubereiten.
Die Schiffs-Evakuierung wurde auf Google-Maps nachgezeichnet, um einen Eindruck zu bekommen.