Ich bin diesen Montag in Addis Abeba, meiner neuen Duty Station für die nächsten Jahre angekommen. Ich muss gestehen, dass ich ein etwas mulmiges Gefühl im Bauch hatte, als ich in Wien ins Flugzeug stieg, wohl auch, weil die derzeitige Dürrekatastrophe am Horn von Afrika einem wieder einmal dramatisch vor Augen führt, wie viel Verantwortung Helfer in komplexen Krisensituation schultern, vor allem, wenn sie wie ich Führungs- und Koordinationsaufgaben übernehmen. Auch wenn es nicht das erste mal ist, dass ich in so einer Situation bin, so ist Äthiopien doch ein Neubeginn mit wieder neün Herausforderungen, auf die ich mich zwar freue, aber auch irgendwie Angst davor habe, nicht das Bestmögliche für die Not und Mangel leidenden Betroffenen mit den mir zur Verfügung gestellten Mitteln herauszuholen. Gar nicht einfach, sich das in einer Welt, in der nur Sieger und „We Can Typen“ zählen, einzugestehen. Also los geht’s.
Ankunft in Addis Abeba
In Addis wurde ich herzlich von meinen beiden ÖRK Kollegen Omar und Seifu am Flughafen empfangen. Es ist ziemlich regnerisch und kalt, was für die Jahreszeit im Hochland von Abbessinien (Addis liegt auf 2.400 m Höhe) normal ist. Man sollte nicht glauben, dass nur wenige hundert Kilometer weiter eine Dürrekatastrophe wütet. Die ersten Tage vergingen dann, wie nicht anders zu erwarten, mit vielen Antrittsbesuchen und Formalitäten, die zu erledigen sind, um sich eine funktionierende persönliche Infrastruktur aufzubauen. Zum Glück hatte ich schon die letzten Monate gut Gelegenheit, mich in den Kontext der ÖRK Projekte hier einzuarbeiten und so kann ich leichter in die laufenden Aufgaben und Problemstellungen einsteigen. Arbeit gibt es jedenfalls genug, um die manchmal kurz aufflackernden Heimwehanfälle zu unterdrücken. Heute ist schon Samstag und ich bin noch nicht ein einziges Mal zum Spazierengehen gekommen. Hotel, Büro, Meetings, Ämter und wieder Hotel, so sahen die letzten Tage aus. Stadterkundungen werden wohl noch warten müssen… Vielleicht ein erster Spaziergang heute Nachmittag oder am Sonntag, wenn ich dann auch mit Hilfe meines Kollegen Seifu nach einer Behausung zu suchen beginnen werde. Ganz grün ist mir die neü Umgebung mit Unmengen an Menschen, Bettlern (viele davon schwer behindert oder Kinder), Trickbetrügern und dichtem Verkehr auf Straßen mit nicht vertrauten Namen ohnedies vorerst nicht. Aber das braucht wohl noch viel mehr Zeit.
Die Dürekatastrophe und ihre Gründe
Die katastrophale Situation im Süden Äthiopiens ist durch den Ausfall der Regenfälle im Okt-Nov 2010 gefolgt vom Ausfall der Hauptregenzeit von März bis Mai 2011 begründet. Die Miniregenfälle, die normalerweise die Situation zwischen Juni und Juli auffetten, sind heuer ebenfalls komplett weggefallen. Dadurch hat sich eine kritische Wassersituation in den betroffenen Gebieten ergeben, die bisher nach unterschiedlichen Schätzungen bis zu 1 Mill Rinder getötet hat. Das heißt z.B. für „wohlhabende“ Familien die früher 500 Rinder hatten, dass ihnen gerade noch 100 bleiben, für die Mehrheit der Kleinpastoralisten – also Hirten, die üblicherweise Herden von 50 – 100 Stück Vieh haben aber bedeutet es, dass sie auf 1-2 Tiere reduziert wurden. Wenn nicht unmittelbar Hilfe – Anliefern von Wasser mit Tankwagen, Viehfutterverteilung – initiiert wird, werden bis zum hoffentlichen Einsetzen der Oktober – November Regenfälle in vielen Gemeinden so gut wie alle Tiere tot sein. Und was dann?
Besonders gefährdet: die Alten
Unterdessen sind vor allem die Älteren in den Dörfern extrem gefährdet vom Hunger, da es in dieser Gegend Tradition ist, dass sie als letztes essen, nachdem die Kinder und Jüngeren gegessen haben. Wohlgemerkt freiwillig! Das größere Problem der anlaufenden Hilfe ist im Moment logistischer Natur, da viele Gegenden nur schwer zugänglich sind, aber noch viel mehr die benötigten Lebensmittel nicht in Äthiopien vorhanden sind und somit die Beschaffung von außerhalb erfolgen muss. Die hohen Preise für Lebensmittel schließlich und die generelle Knappheit essentieller Güter in den lokalen Märkten verschlimmert die Situation noch weiter.
Wassermangel führt zu Krankheit
Durch die unzureichende Trinkwasserversorgung sind bereits verstärkt Masern und Durchfallerkrankungen aufgetreten. Durch den Mangel an Wasser und Nahrung gehen Kinder nicht mehr zur Schule. Die Notwendigkeit, mit den wenigen verbleibenden Tieren auf der Suche nach Wasserstellen und Weideplätzen permanent herumzuziehen, verschärft diese Situation noch. Schulausspeisungsprogramme sind hier dringend gefragt, um die Kinder vor noch größerem Schaden zu bewahren. Kleinkinder werden in vielen betroffenen Gemeinden nur noch mit gezuckertem Wasser gefüttert, da ein Becher Milch, der normalerweise 2-3 Birr kostet, jetzt 15 Birr kostet. Das ist erschreckend, wenn man bedenkt, dass Milch für die Hirten eine Hauptnahrungsgrundlage darstellt und mit Masse nicht mehr von den eigenen Tieren gewonnen werden kann.
Die Organisation der Hilfe
Alle sind sich einig, dass dringend und schnell eine koordinierte Verstärkung der Hilfsmaßnahmen im Bereich Wasserversorgung und Nahrungsmittelhilfe flankiert von Rehabilitierung von Brunnen, Wasserstellen und Irrigierungsnetzen von den Hilfsorganisationen in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Regierungsstellen nötig ist, um eine Megakatastrophe zu verhindern, bei der wir dann Hungertote anstatt, wie zur Zeit noch, Tierkadaver zählen. Fragt sich nur, ob dafür genügend Mittel vorhanden sein werden. Mal sehen was bei Nachbar in Not und anderen international angelaufenen Spendenaufrufen so reinkommt. Das Äthiopische Rote Kreuz arbeitet unermüdlich mit seinen Freiwilligen, um die entlegenen Dorfgemeinschaften mit den vorhandenen Mitteln zu unterstützen und hofft auf mehr finanzielle Unterstützung um ihre Hilfsmaßnahmen gemeinsam mit den täglich eintreffenden Rotkreuz- Kollegen aus verschiedenen Ländern auszuweiten. In der zwischen Zeit treffen laufend weitere Informationen im ERCS (Ethiopean Red Cross Society) Hauptquartier aus verschiedenen Landesteilen ein, die ein immer dramatischer Bild der Situation und möglicher noch katastrophalerer Entwicklungen, wenn die nächste Regenzeit wieder unergiebig ausfällt bzw. den betroffenen Menschen nicht geholfen wird, zeigen.
Die nächsten Wochen werden sicher sehr spannend und ich freue mich besonders auf die anstehenden Projektbesuche, bei denen ich dann Gelegenheit bekommen werde, sowohl den Norden als auch den Süden des Landes wieder zu sehen. Als Tourist war ich ja 2002 schon mal, wenn auch unter ganz anderen Umständen, dort.
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Alle Informationen zur Rotkreuz-Hilfe in Afrika auf www.roteskreuz.at/afrika