Montagnachmittag einige Tage vor Ramadan: In der Moschee von Ketermaya sitzen rund 80 Menschen und warten geduldig. Die meisten von ihnen sind Frauen – viele davon mit Kindern. Vertreter der Stadtgemeinde und des Libanesischen Roten Kreuzes treffen einander, begrüßen sich und beginnen die Unterlagen, die sie in den Händen halten, abzugleichen.
Kurz zuvor ist ein Lastwagen des Libanesischen Roten Kreuzes vorgefahren. Heute findet die Verteilung von Hilfsgütern statt. Die Menschen, die so geduldig in der Moschee warten, sind Flüchtlinge aus Syrien. In keinem anderen Land sind sie so zahlreich wie im kleinen Libanon. Nach offiziellen Angaben suchen rund 600.000 Frauen, Männer und Kinder hier Zuflucht. Aber jeder weiß, dass es bedeutend mehr sind. „Es könnten rund eineinhalb Millionen Menschen sein“, sagt George Kettaneh, Generalsekretär des Libanesischen Roten Kreuzes. „Diese Flüchtlingswelle bringt ein Land wie den Libanon, der nur 4,5 Millionen Einwohner hat, an die Grenzen seiner Kapazitäten. In manchen Orten leben bereits mehr Syrer als Libanesen.“
Vor dem LKW in Ketermaya hat sich indessen eine Menschenschlange gebildet. Mitarbeiter des Roten Kreuzes kontrollieren Berechtigungskarten und zerfledderte Ausweiskopien, bevor sie die Hilfspakete an die Flüchtlinge verteilen. 7,7 Kilo wiegt ein solches Paket. Diesmal werden Hygieneartikel verteilt –Waschmittel und Zahnbürsten, Binden und Toilettenpapier. Dinge des täglichen Bedarfs, denn die Flüchtlinge mussten meist ihr gesamte Hab und Gut zurücklassen. Die Verteilung geht zügig voran. Jene, die ihr Paket erhalten haben, machen sich umgehen auf den Weg zu ihren Familien. Die meisten – rund 60 Prozent – haben sich private Unterkünfte gemietet. Kleine Wohnungen, Zimmer, Besenkammern oder Garagen. Andere sind bei Gastfamilien untergekommen. Große Flüchtlingslager – wie es sie zum Beispiel in der Türkei gibt – lässt der libanesische Staat nicht zu. Man möchte unbedingt vermeiden, dass solche Camps zu permanenten Städten werden. Diese Erfahrung haben die Libanesen nämlich bereits gemacht. Knapp 400.000 palästinensische Flüchtlinge leben im Libanon. Die meisten in Lagern, deren größtes in Ein Al-Hilweh liegt, nur wenige Kilometer von Ketermaya entfernt.
Trotz aller gegenteiliger Bemühungen der Regierung sprießen viele so genannte „wilde“ Lager, in denen syrische Flüchtlinge leben, aus dem Boden. 400 derartige Camps soll es bereits geben. Sie werden mangels Alternative geduldet. Der Lastwagen des Roten Kreuzes hat mittlerweile Ketermaya verlassen. Die Ladefläche ist noch zu zwei Drittel voll. Ein freiwilliger Helfer, lenkt den 7,5-Tonner von der asphaltierten Landstraße auf eine Schotterpiste. Nach einige Kurven und einem kräftigen Anstieg erreicht er ein Flüchtlings-Camp. „Hier leben 161 Syrer“, sagt Maurice Risk. Er ist Finanzdirektor des Libanesischen Roten Kreuzes. Da die heutige Verteilung in seiner Heimatregion stattfindet, ist er persönlich dabei. Er kontrolliert Ausweise und Berechtigungskarten und führt Buch über die verteilten Pakete. Die freiwilligen Helfer stehen auf der Ladefläche und reichen die Hilfsgüter den wartenden Menschen.
Die Pakete reichen noch für zwei weitere Verteilungen – eine vor einer Moschee, die andere bei einem Gemeindezentrum. „Morgen haben wir sieben Verteilungen geplant“, erzählt Maurice Risk. Und dann? „Dann geht es weiter“, sagt er und hebt die Schultern. Wie genau es weiter geht weiß er auch nicht. Fest steht, dass die syrischen Flüchtlinge noch lange Hilfspakete benötigen werden. Im August werden wieder Nahrungsmittelpakete verteilt, mit Reis, Zucker, Thunfisch, Margarine und Hummus. Die österreichische Entwicklungszusammenarbeit finanziert die Versorgung von 2.500 Familien mit solchen Paketen. Genauso viele Flüchtlingsfamilien lassen sich seit Anfang des Jahres im Libanon registrieren – wöchentlich. Wieviele tatsächlich kommen und sich nicht registrieren lassen, weiß niemand.