Erinnern Sie sich noch? Vor etwa einem Jahr um diese Zeit war sie da: Die sogenannte Flüchtlingswelle. Ein Strom von 1.000en Menschen, die vor Zerstörung und Krieg flohen.
Erinnern Sie sich noch? Es folgte eine Welle der Hilfebereitschaft. Viele kleine und große Organisationen, tausende freiwillige HelferInnen, die an den Bahnhöfen, den Grenzen, in den Flüchtlingsunterkünften gearbeitet haben und auch noch arbeiten.
Und plötzlich wurde es still. 10.000e Flüchtlinge strandeten in Griechenland und konnten nicht weiter. Die EU hatte und hat versagt. Die Menschen wurden zu Marionetten in politischen Spielchen und Machtkämpfen auf allen Ebenen.
Idomeni mit seinem Elend, mit seinem Schlamm wurde tatsächlich ein Synonym für die Schlammschlacht, der sich die Gesellschaft ausgesetzt sah. Ich durfte zwei Wochen dort helfen und habe Dinge gesehen, die man in Europa nicht für möglich gehalten hat und eigentlich bei uns nicht sehen darf.
Nach fünf Monaten bin ich nach Griechenland zurück gekehrt. Abermals versuchen das internationale Team aus Deutschen, FinnInnen, JapanerInnen und Österreichern, inkl. mir, den Menschen dort zu helfen. Idomeni ist Geschichte, aber die Menschen, die dort ausgeharrt und gehofft haben, wurden jetzt auf mehrere Flüchtlingslager aufgeteilt. Drei davon betreut das internationale Rotkreuz-Team
Nea Cavalla, Cherso und Softech sind Camps mit je etwa 1.500 bis 2.500 BewohnerInnen. Die Voraussetzungen haben
sich geändert. Es ist organisierter, weniger Menschen in den Lagern, bessere Hilfe ist möglich
Nachdem ich eine abenteuerliche Anreise über Sarajevo nach Thessaloniki hatte- Direktflug wäre auch zu fad gewesen- fand ich mich in Kilkis wieder. Hier ist quasi die Operationsbasis des RKs. Neben den österreichischen Hygienespezialisten, die bereits seit einigen Wochen hier tolle Arbeit verrichten, befindet sich hier auch das BHC Modul (Basic Health Care).
Je nach Verfügbarkeit von Personal sind pro Camp bzw. pro Team minimum 1 Arzt, 1 Krankenschwester/ Pfleger, 1 Kinderkrankenschwester bzw. Pfleger und eine Hebamme. Außerdem haben wir eine Psychologin, die eine Art Selbsthilfegruppe hier betreut- jeweils in einem Lager eine.
Was hat sich geändert?
Zunächst einmal haben wir tägliche Öffnungszeiten von 9 bis 17 bzw. 18 Uhr. Davor und danach gibt es keine Versorgung durch uns. Es muss hier genauso 112 angerufen werden. Dies wird von den Menschen sehr gut angenommen.
Da das Wetter deutlich besser ist als letztes Mal, ändern sich auch die typischen Krankheiten, die wir betreuen.
Zur Erinnerung: im März hat es 14 Tage fast ohne Unterlass geregnet. Viele Infekte der Atemwege waren die Folge. Momentan haben wir einerseits den Ramadan sein einigen Tagen vorbei, während dessen es gelegentlich einen Kollaps gegeben hat. Andererseits haben wir weit über 35 Grad Außentemperatur und Spitzenwerte von über 40° im Zelt. Daher ist vor allem die Gefahr der Dehydrierung, also Austrocknung, groß. Mein Verbrauch an Ibuprofen hat sich auch drastisch reduziert.
Es gibt ein Programm, mit dem Daten der Patienten anonymisiert an das griechische RK gesendet werden. Dieses sammelt die Daten aus ganz Griechenland, um potentielle Krankheitsausbrüche frühzeitig zu erkennen. Durchfall, mit und ohne Blut, Verdacht auf parasitäre Erkrankungen, V.a. Masern,… müssen gemeldet werden, um Vorsichtsmaßnahmen zu veranlassen. Da die Auflagen der Medikamenten Einfuhr auch strenger geworden sind, ist es z.B. nicht mehr so einfach Ivermectin einzuführen. Dises Medikament ist im Gegensatz zu Österreich in Deutschland erlaubt. Es ist gegen Skabies- die Krätzmilbe- sehr gut wirksam, ist aber auch in Griechenland nicht zugelassen. Für Lager ist es die ideale Ergänzung der Medikation. Aber wir werden sicher Alternativen finden (müssen).
Heute hatte ich noch Ben, einen deutschen Kinderarzt an meiner Seite. Dieser verlässt uns morgen aber. Mit mir kam aber auch Daniela, eine sehr kompetente und nette Kinderkrankenschwester, die Ben ersetzen wird.
Das Patientenaufkommen hat sich etwas geändert, wobei heute Sonntag war und wir es eher ruhig hatten. 66 PatientInnen in 9 Stunden sind ein guter Schnitt. Dies lässt genug Zeit, um sich länger um die Damen, Herren und Kinder zu kümmern.
Die Fahrzeit in das Lager hält sich mit knapp 25 min. auch im Rahmen.
Wie üblich herrscht ein Mangel an Ärzten. Gestern kam auch ein japanischer Arzt an. Gemeinsam werden wir das Kind schon schaukeln. Ich werde jetzt mal zumindest 8 Tage durcharbeiten (wie auch die anderen ÄrztInnen), da wir 3 ÄrztInnen für 3 Camps haben und mein Einsatz nur 14 Tage dauert, ist das für mich auch OK so.
In Summe ist die Stimmung im Team sehr gut. Virpi ist unsere Teamleaderin, also Chefin. Ich kenne sie aus Haiti, sie war die Leiterin des Health Centers des Roten Kreuzes in Port au Prince. Auch hier ist es schön, sie wieder zu sehen. Überhaupt sieht man hier wieder, wie klein die Welt bzw. die Rotkreuz Familie ist. Der eine war mit meiner Frau in Liberia, der andere mit mir in Haiti. Wir als HelferInnen sind schon ein eigener Schlag von Menschen.
Wir halten zusammen und behalten Ruhe. Immer wieder mal muss ein Team evakuiert werden- so auch heute, weil es passieren kann, dass es im Camp zu einem Raufhandel kommt. Dies hört sich jetzt schlimmer an, als es ist, aber es reicht schon, wenn sich vier Menschen streiten und evt. in die Haare bekommen. Das Problem wäre dann eines, wenn alle vier verletzt würden und durch ihre Familien zu uns gebracht würden. Da sind Streitereien manchmal vorprogrammiert. Da auch bei uns Eigenschutz vor Fremdschutz geht, versuchen wir in diesen Fällen einfach vorsichtig zu sein. Es kam auch schon vor, dass das Team mit dem Wagen aus dem Camp gefahren ist und dann einfach die Verletzten der Reihe nach zu uns bringen hat lassen. Dies kommt nicht so oft vor, trotzdem muss man auf der Hut sein. Was man nicht vergessen darf: auch hier sitzen die Menschen zum Teil bereits über Monate fest. Es geht nicht vorwärts noch zurück. Es gibt keine Arbeit, keine Beschäftigung. Menschen sind frustriert, werden auch hier zum Teil nicht gemocht.. Da kann sich so etwas mal entladen.
Ein anderer Punkt ist, dass wir alle Menschen gleich behandeln- dies ist ja Teil unserer Grundsätze. Nichtsdestotrotz müssen wir unseren PatientInnen auch klar machen, dass eine MRT Untersuchung auch für GriechInnen bis zu 5 Monate dauert. Da ist man aus Österreich anderes gewohnt. Also muss man den Leuten zu verstehen geben, dass es leider genauso und nicht anders funktioniert und die Wartezeiten normal sind. Es ist schwer für alle helfenden Seiten, da wir keine Besserstellung von Flüchtlingen wollen,aber eine Gleichberechtigung in med. Belangen. Aber alleine das kann zu Spannungen führen.
Was zu sehen ist ist, dass viele kleine Organisationen in den Camps helfen!!
Gemeinsam werden wir unsere PatientInnen weder nach Österreich bringen, noch Ihnen Perspektiven geben können. Aber wir werden sie betreuen, ihnen Hoffnung geben und sie gesund machen, so gut es geht. Allein das ist meine Aufgabe- einfach:
Aus Liebe zum Menschen.