Sonntag 4:27….
Attention to all stations: boat ahead proceed to your station. There will be a rescue..
Es wurde also nichts mit dem Ausschlafen. Tagwache wäre eigentlich um 4:50 gewesen. Aber wer braucht schon Schlaf. Diese Nacht, bereits die vierte am Schiff, konnte ich kaum schlafen. Bis zwei Uhr wälzte ich mich im Bett hin und her, wobei nicht die Wellen Schuld waren. Es würde den ersten Kontakt geben…..
Innerhalb von 10 Minuten waren wir angezogen, ich hatte mir noch im Vorbeigehen eine Packung Mannerschnitten und zwei Wasserflaschen geschnappt und mit Rettungsweste, Overall und Helm bewaffnet standen wir an Deck. MOAS, die Hilfsorganisation, die die Rettungen durchführt, war gerade dabei, die Ghalib, unser kleines Schiff, ins Wasser zu lassen. Ein Holzschiff mit 28 Personen trieb am Wasser. Zwei Mal musste die Ghalib hin fahren, um alle Menschen an Bord der „Responder“ zu bringen. Keiner von uns hatte es ausgesprochen, aber später waren wir einhellig dankbar dafür, dass das erste Boot so wenige Menschen beherbergte. Wir waren das Schema einige Male „trocken“ durchgegangen, aber bei der geringen Zahl konnten wir uns leichter an alles gewöhnen.
Die Geretteten kommen an Deck, müssen zuerst ihre Rettungswesten abgeben, danach kommt Eddie ins Spiel. Er ist für die Durchsuchung der Gäste zuständig. Es spielt sich in etwa wie bei einem Fußballspiel am Eingang ab: Arme ausstrecken, Hose und Shirt- mehr haben sie, wenn überhaupt, nicht an- nach gefährlichen Gegenständen durchsucht, danach weiter zu Abdel oder Eleonore, meinen Rotkreuz- KollegInnen ein Armband abholen. Das sind in Wirklichkeit Haargummis einer Farbe „Bracelets“, um die Menschen zu den Schiffen zuzuordnen. Alle Menschen einer Rettungsaktion haben die Armbänder in gleicher Farbe.
Am Ende steht Johanna und lässt die Menschen in Reihen zu 10 Personen hin setzen. Thorir, mein Kollege ist für die Zählung und die Fotos zuständig. Wir benötigen exakte Zahlen, daher steht er beim Eingang und zählt durch. Am Ende werden alle nochmals gezählt. 28 Menschen.
Menschen frieren, sind durchnässt
Sie frieren, diese hier haben zumindest Hosen und Shirts, manche Pullover. Das sollte sich aber heute noch ändern. Nachdem alles passt, bekommen sie Rettungsdecken, wie man sie aus dem Auto- Erste-Hilfe-Kasten kennt. Danach kommt die medizinische Untersuchung, die sehr grob durchgeführt wird. Wir messen die Temperatur, schauen, ob die Menschen dehydriert sind, Blutarmut haben, schauen auf die Hände, um evt. Verätzungen zu finden oder Skabies. Das sind niedliche Tierchen, die sich unter der Haut einnisten und fürchterlichen Juckreiz verursachen.
Das ganze dauert etwa 15 Sekunden: Temperatur messen, wobei das Thermometer aufgrund der Unterkühlung der meisten eh nur „LO“ anzeigt, Zunge raus Strecken, in die Augen sehen, Finger und Unterarme zeigen lassen und THANK YOU sagen. Höflichkeit ist mir sehr wichtig. Wir sind keine Zoowärter, die ihre Tiere füttern. Jeder Mensch ist zuallererst MENSCH. Ein Mann fragt mich, wie ich heiße? Michael.. und wie ist der Name des Schiffes? Responder. God bless you, Michael- Gott schütze Dich…
Ich kann nur danke sagen und mich umdrehen. Mehr schaffe ich nicht..
einfach weitermachen und konzentrieren.
Es gibt noch genug Arbeit. Nach knapp 90 Minuten ist der Spuk auch schon wieder vorbei. Die Gäste sitzen auf den Paletten, die sie vor Nässe an Deck bei hohem Seegang schützen sollen. Alle haben Decken, Wasser und Kekse. Es gab keine medizinischen Fälle. Eleonora hat Dienst bis acht. Dann beginnt meine Schicht. Also ab ins Bett. Das wichtigste hier am Schiff: Essen und schlafen so oft es geht. Jede Minute nutzen, da man nie weiß, wann der nächste Einsatz kommt.
7:05.. der nächste Funkspruch. Wie lange habe ich geschlafen? Knapp 57 Minuten. „Immerhin“ denke ich mir und mach mich wieder bereit. Helm, Overall, Schuhe, Schwimmweste. Ich habe mich diesmal für meine Shorts entschieden. Die sind bequemer unter dem Overall und man schwitzt weniger.
Ein kleines Gummiboot, etwa 8m lang und 4m breit ist neben uns. Zu Beginn denke ich an 30-40 Personen. Am Rand, auf den Gummiwülsten sitzen Menschen, Ein Bein im Meer. Ich sollte mich soetwas von irren- mein MOAS Kollege lacht mich etwas aus…
Zu Beginn werden an alle Menschen Rettungswesten verteilt und sie aufgefordert ruhig zu bleiben. Immer wieder fährt die Ghalib hin und her, bringt ein ums andere Mal Menschen, Jugendliche Frauen und Männer zu uns. Es sollen etwa 120 werden. Je leerer das Rettungsboot wird, umso ruhiger werden auch die verbleibenden Menschen an Bord. Peter springt ins Gummiboot um zu beruhigen laut gibt er seine Anweisungen. Seil fangen, halten, einer nach dem anderen…Dieses mal klappt das Zusammenspiel auch bei uns schon etwas besser. Wir haben ja noch soo viel Zeit zu üben. Während der Bergung bekommen wir die Info, dass 4km westlich von uns das nächste Boot gesichtet wurde.
Männer steigen aus, humpeln und beklagen ihre massiven Beinschmerzen. Drei andere haben auf ihrem Bein gesessen. Kein Wunder, so dicht wie das am Boot war. Aber es sind keine ernsten Verletzungen.
Auch unsere MOAS Freunde haben immer wieder Angst, dass sie Tote finden. Natürlich gehören sie „zum Geschäft“, aber man gewöhnt sich nie ganz dran.
Die Menschen hier im 2. und 3. sind leicht bekleidet, manchmal nur in Unterwäsche. Abdel sucht nach Kleidung, schaut drauf, dass jeder zumindest ein Oberteil und eine Hose oder ähnliches hat. Die ersten Frauen kommen an Bord.
Plötzlich ein Hilferuf von einem MOAS Kollegen: eine Frau stolpert beim Einsteigen, droht ins Wasser zu stürzen- er kann sie nicht alleine halten. Drei Kollegen stürzen hin und ziehen und schieben sie ins Schiff. Glück gehabt. Die Frau steht noch etwas unter Schock, setzt sich aber dann hin und atmet erst einmal durch. Das hätte schief gehen können. Zum Glück stehen immer zwei Rettungsschwimmer inkl. Neopren-Anzug bereit. Die Gefahr ist aber, dass jemand der ins Wasser fällt, zwischen die Schiffe kommt und zerdrückt wird.
Meine Hauptaufgabe ganz zu Beginn ist einerseits den Menschen zu helfen, die Rettungsweste abzunehmen und , viel wichtiger, ganz kurz auf jeden Neuankömmling zu schauen, ob er oder sie potentiell schwer verletzt ist oder in Lebensgefahr ist. Das können jetzt Wunden sein, die angesprochenen Verätzungen oder einfach die massive Unterkühlung.
Menschen freuen sich, dass sie am Schiff sind…. Manchmal hört man ein nicht böse gemeintes „Shut up please“, wenn es zu laut wird. Gefolgt von: We want to rescue your friends“- wir wollen auch eure Freunde retten. Erst als alle an Bord sind entspannen sich auch unsere MOAS Kollegen. Jetzt können sie durchatmen und die Arbeit des Roten Kreuzes wird interessant. Als unsere Gäste realisieren, dass sie alle in Sicherheit sind, brandet spontan Jubel auf. Menschen applaudieren, fallen einander um den Hals. Ich weiss nicht, ob ich lachen oder weinen soll, entschließe mich aber mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Die Gänsehaut werde ich aber nicht so schnell los.
Abdel schnappt sich unseren neuen Gast und verschwindet mit ihm im Bauch des Schiffes. Ein etwa 1,5 jähriges Mädchen avanciert zum Liebling. Sie weint, ist durchnässt. Als ich nach ein paar Minuten in meine Ambulanz gehe, sehe ich Abdel mit dem Mädchen. Es hat neue Kleidung, etwas zum spielen und strahlt. „Tres Jolie“ sage ich nur- sehr hübsch. Ich habe keine Ahnung, ob die kleine Französisch spricht oder Englisch. Abdel spricht mit ihr auf Englisch. Ich muss natürlich ein Foto von den beiden machen. Danach kommt sie wieder zu ihrer Mutter.
In Summe gibt es auch für mich etwas zu tun. Johanna, war in der Zwischenzeit nicht untätig und hat bereits eine Wunde am Fuß einer aelteren Frau versorgt. Sie war frisch und wir überlegen zu nähen, lassen es aber bleiben. Eine zweite Frau bekommt Schmerzmittel. Eine Schusswunde, die sie vor zwei Monaten am Unterschenkel hatte, schien infiziert zu sein, aber geschlossen. Ich entschließe mich zu einem Antibiotikum.
Die dritte dürfte einen Mittelfußknochen gebrochen haben und einige Damen haben Verätzungen am Gesäß vom Sprit. Bei dunkler Haut sind viele Dinge für uns Mitteleuropaer schwerer zu sehen. Aber die Hautverfärbungen, die sie nicht nur am Gesäß hat, sind eindeutig.
Keine gröberen Erkrankungen, keine Toten. Alles in allem ein gutes Gefühl. Am frühen Nachmittag bekamen wir dann die Phönix zu sehen. Dies ist unser Schwesternschiff, die gerade auf dem Weg nach Italien ist. Sie nahmen unsere Gäste zu sich und werden sie nach Italien bringen. Ich lernte meinen Kollegen vom italienischen Roten Kreuz kennen. Wir machten eine Übergabe der Patientinnen. Er erzählte mir von Patienten, die in ihrer Heimat mit Zigaretten gepeinigt worden waren. Einer hätte noch die Abdrücke von einem Hammer, mit denen er malträtiert worden war. Der italienische Arzt war am Ende seiner Reise auf See, meinte aber das es eine einzigartige Erfahrung auch für ihn war.
Wir cruisen hier weiter und warten auf andere Menschen 317 konnten wir retten. Mir ist eal woher sie kommen, dass zählt zu unseren Grundsätzen- ich will, dass sie leben.
Ich wurde heute, wie schon so oft bei Interviews gefragt, ob nicht auch wir Schuld daran sind, dass so viele Menschen kommen- in dem Wissen, dass wir sie sowieso retten. Wenn man mit den Kollegen spricht, einer macht das seit fast 12 Monaten durchgehend, so sind alle der gleichen Auffassung:
Wenn Menschen sich dieses Wagnis antun, dann steckt sehr viel Verzweiflung dahinter. Sie werden es versuchen, auch wenn wir ab Dezember nicht mehr da sein werden. Sie haben Hoffnung, Hoffnung, das Festland zu erreichen.
Aber was macht das schon, sterben halt ein paar Hundert , ein paar Tausend Menschen mehr…. Das erscheint in den letzten Monaten zunehmend die Meinung vieler „Menschen“ zu sein. Ich glaube aber immer noch an das Gute im Menschen, auch, wenn das Wort Gutmensch für manche zum Schimpfwort geworden ist.
Ich werde hier die nächsten zwei Wochen weiter versuchen, dieses Sterben zumindest zu vermindern..
Aus Liebe zum Menschen und großem Respekt vor dem Leben…