Präzise und genau gibt B. Kamara die Befehle. Handschuhe ausziehen, den Overall öffnen, vorsichtig ausziehen, nur innen berühren. Dazwischen werden immer wieder die Hände desinfiziert. „Nein!“, sagt er ruhig, “Zuerst die Brille und die Maske runter- erst dann das 2. Paar Handschuhe ausziehen.“ Es ist der 2. Tag der Ausbildung „meiner Jungs“. 14 Leute haben sich freiwillig für das Burial Team gemeldet- es sind Freiwillige des Sierra Leone Roten Kreuzes (SLRC). Ihre Aufgaben werden unter anderem sein: verstorbene Patienten aus dem Krankenhaus von „Ärzte ohne Grenzen“ abzuholen und zu begraben.
Die weitaus gefährlichere Arbeit wird die Desinfektion von Verstorbenen sein. Wenn Patienten zu Hause versterben, sind sie stark infektiös. Hier ist besondere Vorsicht geboten.
EIne unbezahlbare Arbeit
B. Kamara ist einer von zwei neuen Teamleadern. Sie werden für jeweils sieben Leute verantwortlich sein. Unter seiner Anleitung werden Leichen mit Chlor desinfiziert, in Leichensäcke gepackt, begraben und anschließend wird das Wohnhaus mit Chlor ausgesprüht. Warum er sich das antut wird er gefragt: „Um Ebola aus Sierra Leone zu vertreiben“. Wegen dem Geld macht das hier niemand. Umgerechnet nicht einmal 4 Dollar verdient man mit der Arbeit pro Tag. Dafür ist man mehrere Stunden in einem Ganzkörper- Schutzanzug, schwitzt und hat Angst vor Ebola. Es gibt bereits ein Team, das seit fast zwei Monaten diese Arbeit erledigt. „Meine Freunde, die davon wissen, sprechen nicht mehr mit mir, meine Familie hat Angst“, meint Momoh, der Teamleader des sehr gut eingespielten Teams. Er hilft den Neuen so gut er kann. Jeder Fehler im Feld kann tödlich sein. Daher wird jeden Tag das An- und Ausziehen geprobt. Ohne Befehl des Teamleader geht nichts. Vertrauen ist ein wichtiges Wort hier in Kailahun. Das Team des SLRC vertraut mir, dass ich ihnen die richtige Ausrüstung besorge- alles, was sie brauchen und sie trainiere. Die Mitglieder vertrauen Kamara und der muss seinen Leuten vertrauen können.
Wie schützt man seine Lieben?
„Wie können wir uns und unsere Familien schützen?“ werde ich gefragt. „Indem Ihr ihnen immer wieder sagt, dass Ihr nicht infektiös seid, wie man Ebola bekommen kann und dass wir auf Euch aufpassen. Ich würde keinen Freiwilligen Rotkreuz Mitarbeiter in Europa in eine solche Mission schicken, wenn ich nicht von seiner Schutzausrüstung und seinem Können überzeugt wäre. Das gleiche geschieht hier. Ihr werdet alles IMMER so machen, wie wir es üben, dann kann Euch nichts geschehen.“ Mehr kann ich nicht sagen. Ich meine jedes Wort so, wie ich es gesagt habe. Trotzdem bleibt das schlechte Gewissen. Ich habe keine Angst, dass ihnen etwas passiert. Ich sorge mich um ihre Reputation, die Freunde, das Privatleben. DAS kann ich nicht beeinflussen.
Pause… Jetzt zeige ich, wie man die Chlorlösung mischt. Das Ebola Virus ist sehr ansteckend, kann aber mit einer niedrigen Chlordosis unschädlich gemacht werden. Während wir die Cholera in Haiti mit bis zu 2mg Chlor pro Liter Wasser bekämpft haben, reichen bei Ebola bereits 0,5mg Chlor pro Liter. „10 Liter fasst der Sprayer. Also gebt bitte 10 Esslöffel Chlor hinein“. Meine Warnung, Chlor nur mit Schutzausrüstung an zumischen und das möglichst im Freien wird anfangs noch eher belächelt. Spätestens als der 1. Tapfere den Chlorbehälter öffnet und den ersten Löffel ins Wasser geben will glauben es die anderen. Nachdem er nicht nur einen Esslöffel Chlor sondern auch eine Nase voll Chlor genommen hat, nimmt er Reißaus und gibt den Löffel erst einmal weiter. Er braucht eine Pause.
Danach wird jeder Mal den Sprayer umschnallen und vorsichtig die Wand des Hauses mit Wasser absprühen. So soll jeder ein Gespür für das Gerät bekommen. Alles, was potentiell infektiös ist, muss besprüht werden.
Das war dann genug für den Tag.
Wie geht man mit dem Tod um?
Das Team von B. Kamara hat heute noch einen letzten Punkt. Er und seine Leute werden die Kollegen bei der Arbeit- der Abholung und dem Begräbnis von Leichen begleiten. So sehen sie, was sie erwartet.
8 Menschen sind es heute, die beerdigt werden müssen. Nach einstündigem Warten auf den Leichenwagen geht es los. Der Leichenwagen ist gleichzeitig die Ambulance. In ihr werden Tote, Verdachtsfälle und Erkrankte transportiert. Wir müssen also warten, bis sie gerade frei ist.
B. Kamara bleibt an Momohs Seite, möchte jeden Handgriff erlernen. Ich mag ihn, auch wenn ich ihn bald nicht mehr sehen werde. Es wird für mich nach Hause gehen. Aber bis dahin versuche ich meinen Kollegen aufzubauen.
Mit viel Respektabstand wird das Verladen der ersten beiden Körper beobachtet. Wir fahren etwa 200 m mit dem Wagen. Der erste Friedhof mitten im Dschungel ist mit 16 Gräbern bereits voll. Heute wurde quasi das 2. Teilstück eröffnet. Als wir dort ankommen, haben die „Gräber“ bereits 8 Löcher ausgehoben. Sie graben niemals mehr als benötigt. Dies würde den Tod anziehen meinen sie. Die ersten beiden Körper werden begraben. Während das Team die nächsten beiden holt, bleiben meine Leute da und warten. Sie reden wenig und schauen nur. Die nächsten beiden Körper sind jeweils 11 Jahre alt. Auf den Leichensäcken steht der Name, die Herkunft, der Todestag und das Alter. Ich bin viel gewohnt, aber auch ich kann mir eine Träne nicht verkneifen, wende mich ab.
Nach bereits 4 Leichen beschließen wir, zu Fuß zum Lager zurückzugehen. Es sind 200m und wir möchten noch beim 1. Friedhof vorbei schauen, der auf halbem Wege liegt. Es ist still, als wir den Menschen die letzte Ehre erweisen. Katherine ist bei uns. Sie ist die PR Verantwortliche, die uns einige Tage besucht. Auch sie ist in ihren Gedanken versunken. Bevor wir gehen fragt sie mein Team, was sie von alldem halten. Die Leute, die hier liegen, haben vor 2 oder 3 Wochen noch in ihrem Dorf gewohnt. Keiner mag so wirklich Antwort geben. Einige beten leise. „Es ist unfair!!“, sagt schließlich jemand. Mehr auch nicht.
Am Ende jedes Begräbnisses werden Gebete vom Team und den „Gräbern“ gesprochen. Eines für Muslime eines für Christen. So ist das in Kailahun. Selbst im Tod bleibt man gemeinsam und denkt an alle gleichermaßen.
Und es geht weiter…. jeden Tag
Morgen wird wieder ein Tag sein. Es wird wieder ein Training geben. Von B. Kamaras Team wird einer nicht kommen. Er will nicht mehr mit machen. Ich verstehe ihn nur zu gut und nehme an, es werden ihm weitere folgen. Ich hoffe, dass „meine Jungs“- die meisten von ihnen sind halb so alt wie ich- in einer Woche gut genug sein werden, um ihre Arbeit aufzunehmen. Ich werde es leider nicht mehr sehen können. Ich bin dann in Wien einige tausend Kilometer weg. Daniel, mein Nachfolger und Jose, ein Kollege von der WHO werden das Training weiter führen.
Ich habe sie gebeten B. Kamara als Teamleader zu behalten. Er ist gewissenhaft und gut.
Auch ich werde beten- seit langem wieder einmal- und hoffe, dass meinen Jungs bei ihrer schweren Arbeit nichts passiert- irgendwo in Kailahun wo Ebola zuhause ist.