Banda Aceh und retour: Mittwoch

Dieser mehrteilige Reisebericht des stv. Generalsekretärs Dr. Werner Kerschbaum erschien auf der Homepage des Österreichischen Roten Kreuzes im März 2005. Anlässlich des fünften Jahrestags der Tsunamikatastrophe möchten wir diese Beiträge erneut veröffentlichen.

Wecker stellen ist nicht notwendig. Um 5 Uhr wecken mich die Muezzins von den 3 umliegenden Moscheen mit ihren lang anhaltenden Gebetsrufen. Welche Auswirkungen hatte wohl ein 30minütiges frühmorgendliches Geläute von allen Kirchen einer größeren Stadt im christlichen Europa? Die starke Rolle des Islam im öffentlichen Leben ist unüberhörbar. Auf Sumatra ist es eine „weltlichere“ Form des Islam: man sieht keine Burkas und viele Frauen tragen nicht einmal Kopftücher.

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Um 7.30 starten wir im Landcruiser zum 1. Tag der „Übergabetour“. Der „alte“ Teamleader, Werner Meisinger aus Vorarlberg besucht mit seinem Nachfolger, dem Tiroler Michael Wolf sowie mit einer Begleiterin vom indonesischen Roten Kreuz und mit mir alle Stationen, wo entweder Trinkwasser produziert oder angeliefert wird.
Die 2 Nervenzentren der Rotkreuz Hilfe „Made in Austria“ befinden sich einerseits am Fluss Krueng, der die Stadt durchquert, und andererseits an der Hauptstraße beim Wasserwerk.

Täglich werden an beiden Standorten 300.000 Liter Trinkwasser produziert und mit LKWs vom indonesischen Roten Kreuz an insgesamt 20 Verteilerpunkte in der Stadt bzw. in den Vororten gebracht. Die weitesten davon liegen 35 km vom Stadtzentrum entfernt in den Hügeln nördlich der Stadt. Etliche Verteilerstellen befinden sich in notdürftig errichteten Zeltlagern, von den kinderreichen Fischerfamilien ergänzt durch einfachste Holzhütten.
Bei 35° Celsius besuchen wir zwei dieser „Außenposten“. Wir treffen größtenteils Frauen mit ihren Kindern an – alle sehr freundlich, neugierig und gerne zu einem gemeinsamen Foto bereit. Der Wassertank sei schon seit einigen Tagen leer, erklären sie uns über die mitgereiste Dolmetscherin vom Indonesischen Roten Kreuz. Die Einsatzleiter hören das mit Betroffenheit, sind aber nicht gänzlich überrascht. Von den LKW Chauffeuren soll die Gegend gemieden werden, weil sie im ehemaligen Rebellengebiet liegt.

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Täglich können bis zu 40.000 Personen, also knapp 15 % der verbliebenen Bevölkerung von Banda Aceh mit reinem Trinkwasser durch das Rote Kreuz versorgt werden. Besonders stolz ist das ERU Team auf einige „Großkunden“: vor Ort tätige Hilfsorganisationen wie OXFAM (UK), das Technische Hilfswerk (BRD), aber auch die spanische Armee vertrauen auf die Wasserqualität der Österreicher.
40.000 Liter täglich holen sich die dankbaren und stets freundlichen Einheimischen mit Kanistern direkt von den 2 Pumpstationen ab. Bemerkung am Rande für den europäischen Beobachter:
Es sind oft die Frauen, welche die Kanister befüllen und auf bzw. in das Auto laden; während die Männer am Steuer der Fahrzeuge warten. Ein hoher Besuch aus Kanada wurde uns schon am Vormittag über das Telefon gemeldet und wir fahren deshalb in die Stadt zur Wasserentnahme und -aufbereitungsstelle am Fluss zurück.
Vom Team hat sie den Namen „Konvent“ bekommen, weil unmittelbar daneben ein katholisches Kloster steht.
Kurz nach Mittag kann das ERU Water Team 3 kanadische Senatoren und den Vorsitzenden des Senats, begleitet von Mitgliedern der kanadischen Botschaft in Jakarta begrüßen. Die schon etwas älteren Damen und Herren leiden offensichtlich unter dem feuchtheißen Klima. Mit viel Interesse und Aufmerksamkeit verfolgen sie die Ausführungen unserer Wasserexperten und sind erkennbar zufrieden und erleichtert zu sehen, dass ihre 50 Millionen Dollarspende an die internationale Rotkreuzbewegung gut angelegt ist.
Übrigens, von der österreichischen Botschaft in Jakarta hat sich noch niemand die Arbeit des vorwiegend österreichischen ERU Teams angesehen …
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Am Nachmittag kommen wir im Rahmen der Übergabetour auch an zahlreichen „Temporary Location Camps“ vorbei. Diese werden von der indonesischen Regierung als Übergangsunterkünfte errichtet. Es sind längliche Holzbaracken, nach dem Vorbild indonesischer Langhäuser auf 50 cm hohen Betonsockeln errichtet. Ein Langhaus bietet 12 Familien à 5 Personen Platz. Für jede Familie ist ein Raum à 25m2 vorgesehen. Den Holzbaracken vorgelagert sind Kochstellen und Wasch/Sanitärräume. Ein Camp umfasst zwischen 10 und 30 solchen Langhäusern.

Derzeit laufen Gespräche zwischen dem Roten Kreuz und der indonesischen Regierung betreffend die Trinkwasserversorgung für diese Camps. Auf der Rundfahrt zu den Verteilerstellen durchqueren wir den „Ground Zero“ im Osten der Stadt. Von den ehemaligen Häusern sind nur mehr die größtenteils gefliesten „Bodenplatten“ übrig geblieben. Die in einigen Medien gezogenen Vergleiche mit Hiroshima sind nicht übertrieben: das Ausmaß der Zerstörung ist unbeschreiblich. Ground Zero umfasst eine Fläche von knapp 20 km2, auf der die bis zu 25m hohe Flutwelle alles platt gewalzt hat.
Knapp 3 Monate nach der Katastrophe stehen geborstene Fischerboote noch mitten im ehemals dichtbesiedelten und jetzt von Caterpillern eingeebneten Gebiet und ragen PKW Wracks aus den noch nicht ausgetrockneten Flutwasser Tümpeln. Viele Überlebende haben ihre Grundstücke bzw. Hausreste mit den nationalen rot-weißen Fahnen markiert, wohl um zu verhindern, dass dort Bauschutt abgelagert und ein Wiederaufbau gänzlich verhindert wird, oder das Land als „unbewohnt“ von der Regierung beschlagnahmt wird. Auf einer Hausruine steht: „Der Bewohner dieses Hauses lebt“ auf einer anderen: „Achtung! Wir müssen alle sterben.“

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Nur selten sieht man, dass feste Gebäude wiederaufgebaut werden; von einem systematischen und organisiertem Wiederaufbau kann überhaupt nicht gesprochen werden, soferne man die erwähnten „Temporary Location Camps“ nicht darunter subsumiert.
Der Weg vom Hafen zurück in die Stadt quer durch zerstörtes Gebiet scheint kein Ende zu nehmen. Das Bild ist vielleicht am besten vergleichbar mit einer Fahrt durch eine überdimensional große Müllhalde; verstärkt wird dieser Eindruck durch Rauchschwaden, die von den vielen Stellen aufsteigen, wo Räumtrupps zusammengetragene Trümmer verbrennen.

Noch immer werden aus den mit Holz- und Metallteilen, Hausrat und Müll übersäten Flutwasserseen Leichen geborgen. Die in weiß gekleideten „Evacuation Teams“ des Indonesischen Roten Kreuzes finden täglich noch immer rund 100 Leichen – bzw. Teile von Leichen. In „body bags“ werden diese geborgen und auf Lastwagen zu einem Massengrab im Süden der Stadt gebracht.
Schon etwas erschöpft kehren wir um 18.30 kurz vor Einbruch der Dunkelheit in das Quartier der österreichischen Rotkreuz Mannschaft zurück
Es befindet sich in einem großen Ferienhaus, welches von einem offensichtlich wohlhabenden Mann aus dem 700 km entfernten Medan angemietet wurde. Das 17köpfige Team, dem auch Kollegen aus Malaysia, Mazedonien und Schweden angehören, hat in dem nur dürftig möblierten 250 m2 großen Haus seine Feldbetten aufgeschlagen. Über jedem Schlafplatz thront der für diese Breiten unbedingt notwendige „Moskito-Dom“, ein aufgespanntes Ein-Mann Zeltnetz zur Abwehr der nicht nur lästigen, sondern wegen der Malariaübertragungsmöglichkeit auch gefährlichen Insekten.
Pünktlich um 19.30 beginnt das tägliche Teammeeting: Jedes Teammitglied berichtet kurz von besonderen Vorfällen, Erfolgen, Herausforderungen und getroffenen Maßnahmen; eine ganz wichtige „Übung“, die über den Informationscharakter hinaus – gerade bei Tätigkeiten in einem schwierigen Umfeld – den Zusammenhalt und damit die Wirksamkeit eines Teams sichert und weiterentwickelt.

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