Andrea Reisinger berichtet im Blog live aus Haiti.
Klaus und ich wurden heute frueh von einem Nachbeben aufgeweckt. Ich dachte erst, dass es der Generator des Franzoesischen RK war, der kurz vorher anging, aber nachdem sich die Erde bewegt hat wie ein Pudding war klar – es war ein Erdbeben. Schlimmer als dieses Nachbeben war jedoch der leichte Regen der gestern abend eingesetzt hat. Wir schlafen im Camp des International Roten Kreuzes im Moment unter Freiem Himmel ohne Zelt – nur mit Moskitonetz und mussten Unterschlupf in den alten Lagerhallen auf dem Camp finden. Die vielen tausenden Obdachlosen von Haiti haben diese luxurioese Alternative eines Unterschlupfes nicht. Allein am Hauptplatz von Port au Prince leben neben dem eingestuerzten Praesidentenpalast zwischen 20 und 25 tausend Menschen ohne eine Dach ueber dem Kopf. Ihre Notunterkunft besteht aus ein paar Holzstangen und Tuechern! Frauen mit Kindern, Schwangere, alte Menschen, Verletzte und Gesunde leben dort. Diese Notunterkuenfte sind bei jedem Windstoss fragil, Schutz vor Regenschauer bieten sie natuerlich nicht. Die vielen Obdachlosen waren deshalb heute Nacht von der Angst vor Regen geplagt, die sich durch das Nachbeben nur verstaerkt hat.
Die Hilfe ist angelaufen und abgesehen von unserem eigenen massiven Hilfsprogramm sieht man Hilfsverteilungen von anderen Organisationen in der Stadt. Die Leute hier haben auch ein unglaublich hohes Mass Leid zu ertragen und sind sehr flexible; viele haben bereits begonnen sich selbst wieder zu organisieren. Mit den wenigen erhaeltlichen Lebensmitteln wird auf der Strasse gekocht, die Leute waschen sich mit dem bisschen Wasser, das ihnen zur Verfuegung steht und sie leben weiter in ihren selbst zusammengestellten Notunterkuenften aus Tuechern. Die vielen Ausnahmezustaende in diesem Land haben den Leuten beigebracht, mit dem Allwerwenigsten auszukommen. Sie haben jedoch auch im Moment keine andere Wahl!
Die Hauptstadt von Haiti und die umliegenden Staedte sind stark zerstoert, ganze Huegel sind abgerissen und grosse, stabil scheinende Bauten eingestuerzt. Gleichzeitig findet man unter der Verwuestung immer wieder Bauten, die dem Erdbeben standgehalten haben und Viertel in denen ein guter Teil der Haeuser steht. Sehr traurig ist, dass viele Tote noch nicht geborgen werden konnten, weil die Haeuser unter dem Erdbeben wie Schutthaufen zusammengegangen sind.
Bei uns im Rotkreuz Camp herrscht Ameisenhaufenstimmung. Wir bereiten das groesste Hilfsprogram der internationalen RK-Bewegung fuer ein Land vor. Das Camp beherbergt im Moment ca 150 Delegierte und ist zugleich Buero und Lagerhaus der Rotkreuzdelegationen, die mit Material angereist sind, um den Betroffenen zu helfen. Heute abend werden wir wieder im Freien schlafen. Die naechtliche Beleuchtung im Camp funktioniert heute nicht und deshalb ist es stockfinster. Dafuer sieht man Sterne – ein gutes Zeichen fuer uns und die vielen Tausenden von Obdachlosen, dass es heute nacht nicht regnen wird.