März 2012, auf dem Weg von Addis Abeba nach Shasheme, fünf Fahrstunden südlich der Äthiopischen Hauptstadt, wo das Österreichische Rote Kreuz, für das ich hier bin, das Äthiopische Rote Kreuz beim Bau von Brunnen und der Arbeit mit ländlichen Gemeinden im Gesundheitsvorsorgebereich unterstützt. Die Rift Valley Seen ziehen einer nach dem anderen am Fenster unseres Geländewagens vorbei. Die Landschaft ist Afrika pur: Weites Land, gelbe Savanne, duerre Schirmakazien an schwefelfarbenen Seen und vulkangeformte Berge und Hügel im Hintergrund. Bloss letztere sieht man im Moment nur schemenhaft, denn die Luft ist voll mit Staub und alle paar Kilometer wirbelt eine Windhose den ausgetrockneten Boden hoch auf. Vor drei Monaten, als ich hier das letzte Mal durchkam, war alles viel grüner, die Luft war klar und die Sicht ungetrübt. Freilich, da war gerade die Hauptregenzeit zu Ende und Natur, Tier und Mensch atmeten auf, standen wieder in vollem Saft. Die schlimmsten Auswirkungen der Dürre von 2010-2011 war durch massive Nahrungsmittel- und Saatguthilfe gerade noch einmal abgewendet worden, auch wenn die Wiederstandskraft der Menschen nachhaltig geschädigt wurde, weil die Herden jetzt nur noch einen Bruchteil der Grösse vor der Dürre haben und die, wenn überhaupt je vorhanden gewesenen, bescheidenen Reserven restlos aufgezehrt sind.
Jetzt sind die Felder abgeerntet und alle warten sehnsüchtig auf die Belg Regenfälle, die kleine Regenzeit. Sie ist so wichtig für die Subsitenzbauern hier, die von der Hand im Mund leben. Nach der Hauptregenzeit von Juli bis September koennen sie die Ernte – Shorgum, Teff und andere Getreidesorten – einfahren, die ihnen für einige Monate Nahrung spenden, wenn der Regen gut war. Aber so ab Februar werden die Portionen Injera (das traditionelle Fladengericht der Äthiopier, das meist mit Gemüse und manchmal etwas Fleisch täglich zubereitet wird), die die Frauen fuer ihre Familien bereiten kleiner. Wenn die kleinen Regen dann ab Februar einsetzen, ist der Boden bereits gepflügt und die Saat vorbereitet fuer die zweite, kürzere Vegetationsperiode, die im Juni geerntet werden soll. Dazwischen essen die einfachen Leute viele Kartoffeln und sonstige Wurzeln. Die kleinere Ernte im Juni nährt die Menschen dann (wenn hoffentlich die Kiremt Regenzeit, die grossen Regen, ergiebig waren) bis in den November, Dezember, wenn die grosse Ernte ansteht. Wenn man von weniger als einem Euro pro Tag lebt, wie die meisten Menschen hier und das ganze Einkommen nur aus der Landwirtschaft zieht, hat man keine Reserven, um Klimaphänomene auszugleichen. Es heisst also Regen oder Hunger.
Wuha Hiwot now – Hiwot Wuha now – heisst es auf Amharisch – Wasser ist Leben – Leben ist Wasser. Nie war mir die Bedeutung dieser Binsenweisheit gegenwärtiger als in diesen Tagen hier in Äthiopien.
Jetzt ist schon fast der März vorbei und noch immer ist kein Tropfen Regen gefallen. Es ist ein El Ninjo Jahr, sagen viele, da kann man nicht wissen, was mit dem Regen sein wird. Die Oromo hier, genauso wie die Amharen im Norden, die Somali im Süden und die Afar im Osten klagen alle, dass die Belg Regen ueber die letzten 10, 20 Jahre immer öfter unergiebig sind oder ganz ausbleiben. Klimawandel oder nicht, für Millionen von Kleinbauern am Horn von Afrika ist das keine akademische Frage sondern ein Phänomen, dessen Auswirkungen für sie den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeutet. Die Angst, dass der Regen wie im Vorjahr gar nicht kommt oder in minimalen Mengen, steht den sonst so stolzen Bewohnern dieser Region ins Gesicht geschrieben. Denn was ihnen und ihren Familien dann bevorsteht, wissen sie nur zu genau. Dann werden sie wieder hungern, werden das Saatgut essen, das sie zum Pflanzen vorgesehen hatten, werden sich in langen Schlangen zu Lebensmittelverteilungen anstellen, werden wieder vergeblich um das Überleben ihrer ohnehin schon dezimierten Herden kämpfen. Viele werden diese täglichen Kaempfe ums Ueberleben wieder verlieren – Mensch wie Vieh. Nicht weil sie mit Blähbaeuchen verhungern, sondern weil sie ohne Widerstandskräfte den schwierigen Bedingungen ihrer Existenz im Wechselspiel der Natur nicht gewachsen sind. Weil sie ohne Wasser keine Möglichkeit haben auch nur die Basishygiene aufrecht zu erhalten, weil sie in ihrer Verzweiflung verunreinigtes Wasser und Lebensmittel zu sich nehmen und dann erkranken und sterben, an Durchfall, an Erkältungen und anderen Leiden, die man im reichen Norden nie und nimmer als lebensbedrohend einstufen wuerde. Ein stilles Verlöschen, wie der Tropfen Wasser, der in der trockenen Erde fast unbemerkt versickert.