Günter Kittel, Niederösterreichischer Arzt ist für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz im Konfliktgebiet in Nordafrika, um medizinische Hilfe zu leisten und die weitere Hilfe zu planen.
Gestern spät in der Nacht habe ich die libysch-ägyptische Grenze überquert und bin die fast 1.000 km nach Kairo gefahren. Heute nacht geht es wieder von hier nach Tunis.
Mittwoch nacht sind wir wieder von Malta mit der ‚Maria Dolores‘ nach Misrata gefahren. Dieses Mal hatten wir die Möglichkeit, auch in die Stadt zu kommen und das Spital zu besichtigen. Es herrscht eine eigenartige Atmosphäre. Die meisten Läden sind zu, auch die Schulen sind geschlossen. Nur Lebensmittelgeschäfte sind offen und die scheinen nach wie vor gut bestückt zu sein. Auch sahen wir jede Menge Schafe in den Fleischerläden die zum Verkauf angeboten wurden. An Gemüse und Obst herrscht Mangel, aber auch das wurde an einer Straßenecke verkauft. Das Verkehrsaufkommen ist trotz allem gewaltig, vor den Tankstellen stehen die Autos Schlange, keine Ahnung, wohin die Menschen fahren, die Stadt ist umzingelt, in der Tripoli Street wird nach wie vor gekämpft, am Vortag (Dienstag) kamen zwei Journalisten ums Leben.
Das Krankenhaus in Misrata
Überall junge Burschen, 20 bis 25 Jahre alt, mit sichtlicher Begeisterung die Maschinenpistole umgehängt. Man sieht auch viele provisorische Straßensperren, aus umgeworfenen Containern und schnell aufgeworfenen Sandhaufen, alles wirkt sehr improvisiert. Dann weist der Fahrer mit der Hand nach links, nach Tripoli Street, man sieht rußgeschwärzte Häuser, dort wird gekämpft. Bald erreichen wir das Spital. Viele Menschen und viele Milizionäre stehen herum.
Im Krankenhaus, eine umfunktionierte private Klinik, da das städtische Krankenhaus zerstört wurde, herrscht relative Ruhe, obwohl angeblich am Morgen 70 Verletzte gekommen waren. Es ist sauber, keine Betten stehen am Gang, kein Chaos. In der Notfallaufnahme sehen wir nur einen Verletzten. Der Direktor erklärt uns, es fehlen zwar Spezialisten, aber man komme zurecht. Iommer wieder könne man Schwerverletzte nach Tunesien evakuieren. Leichter Verletzte werden in Privathäusern untergebracht.
Viel redet er nicht. Als wir hinausgehen, gibt es eine kleine Verzögerung vor unserer Abfahrt. Neugierig drängt sicher unser Fahrer zu einem Kleinlaster, der gerade einen Frischverletzten von der ‚Front‘ bringt. Für das Krankenhaus gibt es dieses Mal keine Arbeit, er ist tot. Sein Bruder steht wort-und fassungslos und bleich daneben. Wir fahren in atemberaubenden Tempo zurück, weniger wegen der Gefahrenlage, sondern eher weil unser sehr junger Fahrer seine Wichtigkeit genießt und alle Sperren ohne Kontrolle passieren darf. Am Hafen warten weiter Tausende von afrikanischen Gastarbeitern, aus subsaharischen Gebieten, auf ihre Evakuierung. Wieder nehmen wir 600 von ihnen an Bord und treten die fast 24-stündige Fahrt nach dem sicheren Tobruk an.
Bei all dem Gesehenen stelle ich mir ganz leise eine Frage: Bei all den unzähligen Millionen, die rund um diesen Konflikt ausgegeben werden, ganz abgesehen von dem ungeheuren menschlichen Leid, wäre es nicht viel billiger, wenn ernsthafte Friedensanstrengungen unternommen würden? Aber wer will das schon?