NPO-Blogparade: Kehrseiten des Web2.0 für NPOs

Im Rahmen einer so genannten Blogparade stellt sich Ole Seidenberg die Frage, was die Kehrseiten des Web2.0-Hypes sind, speziell für NPOs.

Ich will diesem Aufruf zum Diskurs, der ursprünglich eigentlich im Dezember enden sollte und nun verlängert wurde, gerne folgen und einige Anmerkungen und Thesen aus meiner Perspektive hinzufügen. Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang, dass dieser Artikel ganz bewusst ein Blick auf die Kehrseite der Medaille ist und positive Aspekte außen vor gelassen werden. (Siehe dazu vielleicht meine Beiträge Disaster 2.0 oder Roteskreuz.at: On Strategy?)

Das Internet in Österreich ist ein vorwiegend männliches Medium, das signifikant Menschen über 50 und Personen ohne Matura nicht erreicht. Zudem ist das Internet ein “Mittelklasse-Medium” eine Distinktion des “Bildungsbürgertums”, das speziell unterprivilegierte Schichten durch deren Nichtpartizipation von kulturellem Kapital ausschließt. […] Ist das “Internet” noch für große Teile der Mittelschicht nicht nur ein Begriff, sondern schon eine etablierte Kulturtechnik, so führen Blogs, Podcasts und Wikis in diesen Milieus sogar manchmal noch zu Verstörung und Ungläubigkeit. Das Phänomen ist wohl zur Zeit noch auf eine kleinere Gruppe von Spezialisten, um nicht zu sagen Freaks, beschränkt.

Ich denke, hier hat sich in der Beurteilung noch nicht viel verändert. Zwar erfolgt die Nutzung auf einer breiteren Basis, trotzdem haben breite Bereiche der klassischen Kernzielgruppen der lange etablierten NPOs in der „freien Wohlfahrtspflege„, wie das so schön heißt, keinen Zugang zu dieser Technologie. Das Medium (wenn man das Web2.0-Toolbündel als solches subsummieren darf) eignet sich zwar im Bereich des breiten intellektuellen Diskurses als weiteres Tool im akademischen Medienmix im Sinne einer Demokratisierung der Meinungen, aber es ist kein adäquates Mittel, um die Bedürftigen als Stakeholderinnen auf der einen und die SpenderInnen auf der anderen Seite des Stakeholderkontinuums zuverlässig zu erreichen. Die Tools können bestenfalls die bewährten Systeme ergänzen und klassische Kommunikation auf eine andere Ebene heben, also im Sinne Luhmanns anschlussfähig machen. Aber Achtung – genau das kann auch zu einer Abkopplung des Web2.0 Bereichs und laufender Anschlusskommunkation und konstruktivistischer Selbstdefinition des Kommunikationsversuchs als selbstreferentielles Subsystem führen, das lediglich im (auch nicht viel mehr externen) Web2.0 rezipiert wird.

  • Ein zweiter Nachteil ist der Hype, den diese Tools haben, der dazu führt, dass klassische Grundsätze der Kommunikation über Bord geworfen werden, um auf der Web2.0-Welle reiten zu können. Eine Nicht-Geschichte wird auch nicht durch den kombinierten Einsatz einer Kombination aus Twitter, youtube und komplexen Meshups zu einer Geschichte, um es ganz banal zu sagen. Innerhalb einer Organisation ist man als Kommunikationsverantwortlicher dann oft intensiver beschäftigt, KollegInnen die Grundsätze der externen Kommunikation, der deutschen Sprache oder von richtigem Fotoeinsatz in der externen Kommunikation zu überzeugen, weil viele Denken, der EInsatz des Tools alleine würde zu einer Verbesserung der Kommuikation führen. Web 2.0 alleine verbessert in keinster Weise die Kommuniktion per se. (Als Beispiel dazu unser Versuch, Social Media Releases zu etablieren)
  • Ein weiteres Argument: Die Beschäftigung mit dem Phänomen Web2.0 verbraucht verdammt viele Ressourcen, sei es Zeit, eine der in NPOs oft am wenigsten vorhandene Ressource, oder auch Kapital in Form von Zugang zu Netzen, Hardware, … Auch ist es notwendig, jedes neue Tool zu beobachten, auszuprobieren, um dann auch mit dabei zu sein, falls es „abhebt“. Dabei ist es fast wie beim Lottospielen, mehr als 2/3 aller Konzepte überleben das erste Jahr nicht, viele Energien sind daher umsonst investiert, wenn man up2date bleiben mag. Gerade diese Ressourcen wären oft sinnvoller im operativen Bereich der NPO eingesetzt, oder in andere Kommunkationsformen investiert, wenn sich aufgrund der Kommunikationsstrategie kein Bedarf an Web2.0 im Kommunikationsmix ergibt.

Mir ist schon klar, dass mein Beitrag mehr Fragen aufwirft, als er zu lösen im Stande ist, ich finde es trotzdem wichtig und notwendig, diesen Diskurs zu führen.

mfg

Gerald Czech

8 Kommentare

  1. Stimmt, eine schlechte Geschichte wird durch den Einsatz von Social Media auch nicht besser.

    Ganz wichtig ist aber das Thema Segreggation bzw. eInclusion. Interessanterweise taucht es in den diversen Blogs, Netzwerken oder Foren gar nicht so häufig auf. Dabei steckt z.B. die EU, wenn ich nicht ganz falsch liege, einiges Geld in dieses Thema.

    Toller Beitrag, dankeschön!

  2. Hallo Gerald Czech,
    sehr interessante Aspekte!
    Besonders wichtig ist auf jeden Fall die Fokussierung zum Einen auf die Zielgruppe, die erreicht werden soll und zum anderen die Wahrung von Kommunikationsgrundsätzen. Einsatz von Web 2.0 aus Prinzip halte ich für ebenso falsch, besonders wenn es darum geht, beim Hype mitzuhalten. Doch halte ich es mittelfristig für sinnvoll, wenn NPOs ein tragfähiges Web 2.0-Konzept entwickeln, mit dem Nutzer aktiv an der Kommunikation und an Prozessen teilnehmen können, um diese langfristig zu binden, gerade bei Fundraising-orientierten Organisationen. Das mag wahrscheinlich nicht die derzeit ältere (und spendenstarke) Generation sein. Doch die jetzt nachfolgenden und nach Beteiligung strebenden Web 2.0-affinen Nutzer dürfen meiner Meinung nach nicht vergessen werden – ansonsten orientieren sie sich anderweitig und gehen als zukünftige Kontakte mögicherweise verloren. Natürlich wird sich auch weiterhin nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Internet-Nutzer aktiv einbrigen, doch dabei handelt es sich um wichtige Meinungsbildner, die nicht nur online das Bild der Organisation mitprägen. Gelingt es diese aktiv einzubinden, wird dies ein wertvoller Baustein in der Gesamtkommunikation der Organisation darstellen.

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