oder „Erziehung zur Menschlichkeit“
Eine empirische Studie unter (ehemaligen) Zivildienstleistenden des Österreichischen Roten Kreuzes.
Mag. Gerald Czech
Die Studie als PDF-File: Zivildienst als wichtige Sozialisationsinstanz_final
Summary
Das Österreichische Rote Kreuz hat beginnend mit der aktuellen politischen Diskussion am 31. August 2012 in digitalen Medien (Homepage, Facebook, Newsletter und per E-Mail) ehemalige und derzeitige Zivildienstleistende gebeten, ihre Meinung zum Zivildienst zu äußern. Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten ihre Zivildienstzeit positiv in Erinnerung haben und der Meinung sind, Wertvolles und Wichtiges für das weitere Leben gelernt zu haben.
Sozialisationsinstanz Zivildienst?
Die Grundannahme der Umfrage war, dass der Zivildienst nicht nur der Gesellschaft selbst, den Menschen in Not und sozial Schwachen hilft – oder den Organisationen, die diese Hilfe unmittelbar umsetzen, sondern auch eine wertvolle Sozialisationsinstanz für die jungen Österreicher ist. Die meisten der Zivildiener beginnen ihre Zivildienstzeit in einer Umbruchphase ihres Lebens, nach der sekundären Ausbildung, und sind in vielerlei Hinsicht auf der Suche. Sei es die Suche nach Perspektiven, die Suche nach Sinn oder die Suche nach individueller Nützlichkeit. Die Monate, in denen sie sich intensivmit den Schicksalen anderer Menschen auseinandersetzen müsste – so die Annahme – auch die Grundeinstellung zu unterschiedlichen Themen des Lebens verändern.
Genau diese individuelle soziologische Perspektive wurde – unabhängig und losgelöst von der innen- oder sozialpolitischen Diskussion – betrachtet und ausgewertet.
Methodik
Online-Survey im Tool LimeSurvey (Version 1.92+ Build 120909) Laufzeit der Umfrage: 31. August bis 18. September 2012. Auswertung mittels IBM SPSS Statistics 19. Gesamte Teilnehmerzahl: 1722 Personen. Vollständige Antworten: 1247.
Univariate Statistiken
Insgesamt haben 1320 Personen, die beim Österreichischen Roten Kreuz ihren Zivildienst geleistet haben, auch ein Einrückungsjahr angegeben. Um vier etwa gleich große Gruppen zum Vergleich zu haben, wurden diese in „Kohorten“ eingeteilt. Diese Verteilten sich wie folgt auf insgesamt vier unterschiedliche Gruppen:
Kohorte | |||||
Häufigkeit | Prozent | Gültige Prozente | Kumulierte Prozente |
||
Gültig | bis 2005 | 385 | 29,2 | 29,4 | 29,4 |
2006 bis 2009 | 351 | 26,6 | 26,8 | 56,2 | |
2010-2011 | 441 | 33,4 | 33,7 | 89,9 | |
2012 | 132 | 10 | 10,1 | 100 | |
Gesamt | 1309 | 99,2 | 100 | ||
Fehlend | System | 11 | 0,8 | ||
Gesamt | 1320 | 100 |
Auf die Bundesländer aufgeteilt sind die Teilnehmerquoten wie folgt:
Häufigkeit | Prozent | Gültige Prozente | Kumulierte Prozente |
|
32 | 2,4 | 2,4 | 2,4 | |
Burgenland | 97 | 7,3 | 7,3 | 9,8 |
Kärnten | 79 | 6 | 6 | 15,8 |
Niederösterreich | 444 | 33,6 | 33,6 | 49,4 |
Oberösterreich | 214 | 16,2 | 16,2 | 65,6 |
Salzburg | 35 | 2,7 | 2,7 | 68,3 |
Steiermark | 194 | 14,7 | 14,7 | 83 |
Tirol | 112 | 8,5 | 8,5 | 91,4 |
Vorarlberg | 61 | 4,6 | 4,6 | 96,1 |
Wien | 52 | 3,9 | 3,9 | 100 |
Gesamt | 1320 | 100 | 100 |
Inwiefern beeinflusst der Zivildienst nun die Zivildienstleistenden?
Die Fragenbatterie zu den Sozialisierungsperspektiven wurde ad hoc im Sinne der Grounded Theory entwickelt, da der Autor selbst sowohl Zivildienst geleistet hat, als auch in Grundlehrgängen und als Trainer über jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit dieser Personengruppe und ihrer Entwicklungen hat. Es wurde zunächst die offensichtliche Einstellung zum Thema Katastrophenschutz (bzw. Prävention) und Notfalltraining in Erster Hilfe über die Einstellung zur eigenen Familie abgefragt, in weiterer Folge wurden Freundschaften bewertet, die im Zivildienst entstanden sind, ein Phänomen, dass man sonst eigentlich eher aus den Zeiten des Grundwehrdienstes kennt. Die schon abstrakteren Perspektiven von „freiwilligem Engagement“ einerseits und „humanitäre Themen“ andererseits sollen breitere Veränderungen im Habitus abfragen. Die letzten drei Fragen dieser Batterie fragen die tatsächliche Veränderung in Lebensperspektiven und –Weisen in unterschiedlicher Intensität ab.
Persönliches Umfeld
Auf Krisen und Katastrophenfühlen sich über 88% der befragten Zivildiener (sehr- und eher-Antworten) gut vorbereitet. Analoges gilt, wenn es um Notfälle unter Freunden oder Familie geht: 79,1 % stimmen hier völlig zu, dafür gerüstet zu sein (sogar 95% wenn man die „eher“ Kategorie ebenfalls mitzählt). Auch Freundschaften werden im Zivildienst geschlossen: über 90 % behaupten, sie hätten Menschen kennengelernt, mit denen sie noch immer befreundet sind.
Gesellschaftspolitische Sozialisationskriterien
Was freiwilliges Engagement betrifft, so stimmen 65,4 % völlig zu und weitere 23,1 % eher zu, daß der Zivildienst dazu beigetragen hat, dessen Wichtigkeit zu vermitteln. Auch im Bereich des Interesses für humanitäre Themen, geben noch über ¾ an, dass sie sich seit dem Zivildienst mehr dafür interessieren. Die wesentliche Entscheidung, sich selbst auch freiwillig zu engagieren ist nach Meinung von 64 % völlig auf den Zivildienst zurückzuführen, für weitere fast 250 Befragte (also 20,2 %) zumindest eher.
Änderung von Lebensperspektiven und Berufswahl
Besonders interessant ist auch die Veränderung, die der Zivildienst offenbar auf die Lebenseinstellungen-, Perspektiven und –Wege hat: Mehr als ein Drittel der ehemaligen Zivildiener geben an, der Zivildienst habe dem Leben eine neue Perspektive gegeben, ein weiteres Drittel meint zumindest, dass das eher der Fall ist. Eine neue Richtung hat das Leben aufgrund des Zivildienstes für rund 30% der Befragten genommen. (Nochmals +25% „eher“). Und was besonders erstaunlich ist: 28 % – also mehr als ein Viertel der Befragten – geben an, dass der Zivildienst ihre Berufswahl beeinflusst hat.
Individuelle Einschätzungen der Zivildienstzeit
In der zweiten Fragenbatterie wurden persönliche Eindrücke mittels semantischem Differenzial abgefragt, wobei die Teilnehmer in einer 5-stufigen Skala ihre persönlichen Erfahrungen äußern konnten.
Die grafische Visualisierung zeigt bereits deutlich, wie die Befragten ihre Zivildienstzeit einschätzen: stark positiv. In den meisten Perspektiven liegt die volle Zustimmung bei deutlich über 60 % – bei der persönlichen Erfahrung sogar bei über 80 %. Zählt man die „sehr“ und „eher“ Antworten zusammen, so liegen alle Dimensionen in der Batterie über die persönlichen Erfahrungen bei um oder über 90 %. Der Zivildienst wird also von nahezu allen Absolventen als wertvolle Zeit beurteilt, die interessant war, Wissen vermittelt hat und Erfahrungen gebracht hat. Besonders wichtig: Sie hat fast 80 % der Absolventen auch Spaß gemacht.
Soll der Zivildienst bleiben?
Natürlich wurde auch die Frage gestellt, die im Jänner auch an die Bevölkerung gerichtet wird. Im Rahmen der Befragung wurde bewusst auf den Zusammenhang von Wehr- und Zivildienst nicht eingegangen und nur gefragt, ob der Zivildienst abgeschafft werden sollte. Die ehemaligen „Zwangsdiener“ haben eindeutig geantwortet: 87% sind gegen die Abschaffung des Zivildienstes.
Ergänzung (26. November 2012)
Methodik
Da in der Einleitung die Methodik nicht klar genug formuliert wurde, wie ich so manchem Kommentar auf Facebook und im Blog entnehme zur Klarstellung noch einmal die Intention der Studie:
Es handelt sich um eine AdHoc Umfrage ohne Anspruch die gesamte Population Bias-frei erreichen zu wollen. Grundfrage war, ob und wenn ja welche Veränderungen der Zivildienst selbst bei den Zivildienern bewirkt. Die Grundannahmen aus denen die Thesen formuliert wurden, die dann den Variablen zu Grunde gelegt wurden, sind nach der Grounded Theory aus der Eigenerfahrung und aus vielen Gesprächen mit Zivildienern aller oben beschriebenen Kohorten entstanden.
Ergebnis
Auch die Ergebnisse sind eindeutig: Ja, der Zivildienst verändert Einstellungen und Werte, ist also für die (ehemaligen) Zivildiener im Österreichischen Roten Kreuz eine wichtige und wesentliche Sozialisationsinstanz gewesen.
Regionale Ergebnisse
Ebenfalls kritisiert wurde die Auswahl des Samples und die geographische Zusammensetzung der TeilnehmerInnen. Einerseits entspricht es den Tatsachen, dass innerhalb des Österreichischen Roten Kreuzes die meisten Zivildiener ausserhalb von Wien beschäftigt werden, also ein Land-Stadt-Gefälle existiert. Daher sind die Fallzahlen auch diesbezüglich realistisch. Hinsichtlich der unterschiedlichen Bundesländern ist zudem in keiner der abgefragten Variablen ein dramatisch anderes Ergebnis zu finden, wenn man eine Regionalauswertung macht. Zwar sind die Ergibnisse beispielsweise in Wien weniger deutlich positiv, eine „Umkehrung“ oder „Verfälschung“ der Ergebnissse, ist allerdings nicht feststellbar.
Regionale Unterschiede
Hier zur Visualisierung die einzelnen Bundesländerauswertungen. Hier ist aufgrund der Fallzahlen die Schwankungsbreite zum Teil allerdings deutlich höher als in der Gesamtumfrage, die Grundaussagen bleiben allerdings bestehen …
Liebe LeserInnen,
ich freue mich auch hier über Euren bzw Ihren Kommentar. Gerne kann auch hier eine diskursive Auseinandersetzung zum Thema stattfinden.
Schade dass ich nicht teilnehmen konnte (oder nichts von der Studie mitbekommen hab 😉 ), bin ebenso ehemaliger Zivi und dadurch nach 5 Jahren immer noch Freiwilliger beim Roten Kreuz. Und ich hätte GENAUSO geantwortet. Daher überrascht mich das Ergebnis der Studie auch nicht im Geringsten!
Ich habe meinen Zivildienst im LKH Innsbruck & beim Roten Kreuz abgeleistet. Diese Zeit war sehr prägend für mich und ich möchte sie nicht missen.
Die Frage, ob der Zivildienst abgeschafft werden, ist angesichts der bevorstehenden Volksbefragung zu kurz gegriffen, denn die Möglichkeit, solche Erfahrungen zu sammeln, wäre auch nach der Abschaffung der „Zwangsverpflichtung“ gegeben.
Ich bin für ein freiwilliges Sozialjahr. Mit Betonung auf freiwillig.
Das sind wir dem neuen Jahrtausend schuldig.
Nach welchen Kriterien wurden die Teilnehmer ausgewählt und warum gibt es lokal socleh Unterschiede? Das Ergebnis deckt sich nicht im mindesten mit meinen Erfahrungen. Jeder der will kann ja freiwillig gratis arbeiten. Wer freut sich tatsächlich über einen Zwangskontext. Jedenfalls ist KEINER meiner Kollegen vom RK Wien dort noch tätig. Ich denke es handelt sich um eine politisch motivierte Studie, die sehr selektiv auf ein gewünschtes Ergebnis ausgerichtet ist.
Die Umfrage stand von Ende August bis Mitte September jedermann offen. Es wurden via Facebook und eMail ehemalige Rotkreuz-Zivildiener eingeladen, daran teilzunehmen.
Schon die Tatsache, dass über 1.300 Teilnehmer zu verzeichnen sind legt nahe, dass es einzelne Individuen aus der Grundgesamtheit gibt, deren persönliche Erfahrungen nicht mit denen der Mehrheit übereinstimmen.
Fakt ist, dass für die jeweiligen Variablen jeweils signifikante und valide Ergebnisse erzielt wurden.
Das schon die Auswahl und die Art der Selektion der Teilnehmer das Ergebnis massgeblich verfälscht und die geographische Zusammensetzung des Samples wohl vermutlich nicht repräsentativ sein kann ist Ihnen aber aufgefallen? Als Hypothese würde ich ein Stadt-Land-Gefälle annehmen udn Wien mit 50 Teilehmern udn NÖ mit über 400 entspricht der Verteilung der ZD im RK? Ich zB habe keine EInladung erhalten obwohl meine E-Mail aufliegt. Wie kommen SIe zu den facenbook-Adressen der ehemaligen ZD? Ich ziehe das Ergebnis tatsächlich stark in Zweifel und bin an der zugrundeliegenden Methodik sehr interessiert. Schliesslich wird Ihre Sudie als Begründung für die Haltung des RK in Bezug auf den ZD verwendet.
Lieber Herr Gros,
vielen Dank für Ihre Anmerkungen, die mich dazu motiviert haben, am Blogbeitrag noch einige Ergänzungen zu machen. Die geografische Verteilung, sie werden die Unterschiede sehen, hat für die Gesamtergebnisse keinerlei Bedeutung, da die Grundaussagen gleich bleiben. Die Umfrage war öffentlich zugänglich. Via Facebook, Newsletter und in einigen Landesverbänden noch mit persönlichem Mail wurde auf die Umfrage aufmerksam gemacht.
Die Deutlichkeit der Gesamtergebnisse bewirkt, dass selbst bei Stichproben-Bias noch die selben Tendenzen der Ergebnisse zu sehen wären. Das war der Sinn der Umfrage, nämlich zu untersuchen, ob die Instanz Zivildienst zu einer Änderung von Lebenseinstellungen führt, was zu zeigen war.
Mich freut auch, dass der (falsche) Eindruck entsteht, meine Studie wäre die Begründung für die Rotkreuz-Haltung in Sachen Zivildienst. Das wäre wohl zu viel an Einfluss 🙂
Die Haltung des Österreichischen Roten Kreuzes beruht, wie Sie auch auf http://www.roteskreuz.at/zivildienstdebatte nachlesen können auf der Tatsache, dass sich das System bewährt hat und von Seiten des Roten Kreuzes kein Grund gesehen wird, warum man eben dies ändern sollte.
Der Grund für die angesprochene Studie war, dass die Diskussion bis jetzt immer nur um PatientInnen- und Allgemeinwohlfakten gekreist ist und sich noch niemand die Perspektive der Zivildienstleistenden selbst angeschaut hat. Eine einzige mir bekannte Studie aus dem Jahr 2000 [Sinkovics, Rudolf; Klausegger, Claudia; Floh, Arne (2000): Messung interner Dienstleistungsqualität bei der Ableistung unfreiwilliger Dienstleistungen am Beispiel des Österreichischen Roten Kreuzes; der Markt, 39. jahrgang, Nr. 155. Seiten 163-178 ] kommt bei der Zufriedenheit auf ähnliche Ergebnisse.
Ich habe mich offensichtlich unklar ausgedrückt. Ihre STudie wird zur Argumentation der Wehrdienstbefürworter herangezogen. SIe ist nicht Ursache des Standpunktes (Ich unterstelle hier, dass das der Zugriff auf kostengünstige Arbeitskräfte ist) sonderl lediglich eine „wissenschaftliche“ Begründung. Füe eine solche ist es aber relevant, dass die wesentlichen Kriterien der Stichprobe der Gurndgesamtheit entsprechen, es sich also um eine echte Zufallsstichprobe handelt. Dahingehend habe ich gefragt wie sich genau die Zusammensetzung des Samples ergibt, das ja wohl deutlich zumindest im Kriterium Bundesland von der Grundgesamtheit abweicht. Auch die besagte Studie erfüllt dieses Kriterium nicht, da auch sie sich auf Niederösterreich bezieht. Auch in der zitierten Studie reduziert sich die Fragebögen von t1 zu t2 um mehr als 50%. Es bleiben gerade einmal 84 Antowrten übrig. Die Übertrittswahrscheinlichkeit ist zwar für mich noch immer überraschend hoch, allerdings weit weg von den bei Ihnen ausgewiesenen 80%. Ein wesentlicher Faktor ist dort auch, das vor allem Leute die vorher schon in Vereinen (dem RK?) tätig waren auch nachher wahrscheinlicher weiterarbeiten. Auch 5 Jahre nach Ableistung meines ZD beim RK würde ich den ZD wieder dem BH vorziehen wenn ich mich eben zwischen den Zwangskontexten entscheiden muss.