Genug Umverteilung in Österreich?

Das aktuelle rotkreuz.factbook widmet sich dem Thema Armut. Fast eine Million Menschen verfügen in Österreich über ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze. Diese wird in der Sozialpolitik aus dem so genannten Medianeinkommen ermittelt. Es geht dabei um Medianeinkommen nach dem Erhalt von Transferleistungen, also von Arbeitslosengeld, Familien- und Kinderbeihilfen, Pflegegeld, …

Der Sozialstaat gibt der Politik ein Mittel in die Hand, gesellschaftliche Verhältnisse zu beeinflussen. Durch seine Leistungen honoriert der Sozialstaat bestimmte Verhaltensweisen, Lebensformen und Staatsangehörigkeiten, während er andere sanktioniert. Damit trägt er dazu bei, dass bestimmte „Normalitäten“ konstruiert bzw. reproduziert werden. Sozialpolitik ist damit immer auch Gesellschaftspolitik. (von armutskonferenz.at)

Die Armutsgefährdungsgrenze liegt in der EU bei 60 % des Median-Pro-Kopf-Haushaltseinkommens, dem Durchschnittseinkommen der Einwohner/innen eines Landes bezogen auf den Zeitraum eines Jahres. In Österreich betrug es im Jahr 2009 monatlich 951 Euro (macht jährlich 11.406 Euro) für einen Einpersonenhaushalt. Neben diesem objektivierten Finanzindikator kommt für im Falle der  so genannten „manifesten Armut“ auch noch die soziale Ausgrenzung dazu, also merkbare Einschränkung durch die Einkommenssituation, die sich auch in gesellschaftlicher Ausgrenzung manifestiert.

Die Zahl der in manifester Armut lebenden Personen in Österreich wird von der Armutskonferenz mit rund einer halben Million Menschen angegeben.

492 000 Menschen (6% der Wohnbevölkerung) in Österreich sind von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen – Sie sind manifest arm, haben neben einem niedrigen Einkommen auch Einschränkungen in zentralen Lebensbereichen (z.B. Bildung, Wohnung, Begleitung). Frauen sind dabei stärker als Männer betroffen. Ein Viertel der Armutsbetroffenen sind Kinder. Ihre Eltern sind zugewandert, erwerbslos, alleinerziehend oder haben Jobs, von denen sie nicht leben können.

Da sich die Armutsgefährdungsparameter vom Medianeinkommen ableiten und die Einkommensverteilung in Österreich in der mittleren Frist konstant ist, dürfte auch die Zahl der armutsgefährdeten Personen mit rund – oder knapp unter 10 % der Österreichischen Bevölkerung konstant bleiben.

Die Zahl von nahezu 10% der Bevölkerung an oder unter der Armutsgrenze und davon mehr als die Häfte mit manifesten Armutsstigmata behaftet, das regt zumindest zum Denken an, ob die Welt gerecht ist, denn Österreich gehört ja zu den reichsten Staaten der Welt. Wie kann man diese Armut nun bekämpfen?

Hier gilt es zunächst, den eigenen paradigmatischen Standpunkt abzuklären und deutlich zu machen, weil wir bewegen uns in den gefährlichen Untiefen des Schnittbereichs von Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik und Gesellschaftspolitik, wo Theorie oftmals mehr der Eristik dient, als der Erklärung von Zusammenhängen. Ja, ich gehe davon aus, dass die Politik auch aktives sozial- und gesellschaftspolitisches Gestalten beinhaltet und ich gehe davon aus, dass die Gesellschaft komplexer aufgebaut ist, als das so manche Utilitaristen annehmen, auch wenn diese dafür Nobelpreise erhalten.

Ein Argument vieler neoliberaler Wirtschaftsvertreter ist, dass das Gesamtwohl einer Gesellschaft über die Reichen erzielt wird, die so genannte „trickle-down economy„. Ähnliche Ideen stehen wohl auch hinter den „Rettungspaketen“ für die Banken, wenn nämlich die eigene Handlungsmotivation für die Krisenhilfe nach der Hilfe für die Bankinstitute endet, denn das „trickle-down“ wird sich auch hier nicht einstellen.

Reichtum ist nicht – wie oft behauptet – ein Leitbild unserer Gesellschaft, sondern normativ ambivalent. Im konservativen Denken ist Reichtum sichtbarer Leistungsausdruck und fungiert fu?r Nicht-Reiche als Leistungsanreiz, sofern er zu verstärkten Anstrengungen motiviert. In einem emanzipatorischen Verständnis macht Reichtum arm, weil er mit ungerechtfertigter Macht und Privilegien einhergeht. (Martin Schürtz (2009): Reichtum: Spuren im Nebel, WISO 32. Jg. )

Das Österreichische System der Sozialpolitik in Richtung mehr Umverteilung zu organisieren, das wäre eine der Möglichkeiten, davon bin ich überzeugt. Eine Möglichkeit die im Moment noch nicht adäquat ausgenützt wird. Das Österreichische System der Sozialpolitik – in Gosta Esping-Andersens Typologisierung der „Sozialstaats-Regimes“ wird das Österreichische Modell als „konservativer Typ“ bezeichnet. Soziale Sicherung ist ein Teil der Ziele dieses Typs, gleichzeitig wird versucht, Statusdifferenzen trotz aller Sicherung beibehalten zu können. Intensive „Umverteilung“ wird in diesem Systemtyp nach allgemeiner Theorie – speziell im Vergleich zu skandinavischen Modellen – also vermieden.

Es gibt jedoch ExpertInnen – und das Institut für höhere Studien in Wien, bzw. sein Leiter Bernhard Felderer, ist offenbar ein Vertreter dieser Fraktion, die behaupten, das derzeitige System hätte bereits genügend Umverteilungskomponenten beinhaltet. IHS-Chef Bernhard Felderer ist der Meinung, so derStandard.at in seiner Online-Ausgabe, dass die Umverteilungswirkung des Österrereichischen Sozialsystems adäquat sei.

Bestätigt sieht sich der IHS-Leiter in seiner Ansicht, wonach Vermögenssteuern zur Korrektur allfälliger Ungerechtigkeit nicht angebracht seien. Umgekehrt glaubt Felderer – außer in Ausnahmefällen – nicht, dass die Umverteilung Leistungsanreize stark dämpfe. So zitiert der Autor des Standard-Artikels Andreas Schnauder den IHS-Chef.

Interessant sind in diesem Artikel die Grafiken, die beispielsweise die einzelnen Dezile der staatlichen Transferleistungen zu Visualisieren versuchen. Quellen der Daten dieser Grafik sind einerseits die Ergbnisse des EU-SILCS,  und andereseits aus dem IHS-ITABENA, einem mikroökonomischen Haushalts-Simulationsmodell des Instituts für höhere Studien, das Österreichische Haushalte anhand ihrer Präferenzentscheidungen simuliert um steuerliche und Transferleistungen auf den Einzelhaushalt zu simulieren und daher zumindest in den Grundlagen die Utilitaristische Logik beinhaltet.

Ebenso erschliessen sich mir in diesem Artikel die Zusammenhänge der einzelnen Argumente nicht ganz klar. Wird zu Beginn noch Reichtum und Vermögen miteinander verglichen –

Ist Österreich ein Land weniger Vermögender (die ihren Reichtum in steuerschonenden Stiftungen parken) und einer großen Masse unterer Einkommensschichten, die von der Gesellschaft vernachlässigt werden?

– so argumentiert der zweite Teil des Artikels anhand von Einkommen und öffentlichen Transferleistungen, zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe. (siehe auch 2. Armuts und Reichtumsbericht für Österreich)

Spannend finde ich in diesem Fall, dass man wieder versucht, anhand der Transferleistungen und deren Höhe zu behaupten, es „passiere eh genug“ und „mehr sei ja der Bevölkerung wegen der sonst abnehmenden Leistungsbereitschaft nicht zuzumuten“.

Doch es gibt auch andere Perspektiven, gerade auf den Sozialstaat. So begreift Abraham de Swaan die Errungenschaften sozialstaatlichen Handelns auch als ein Handeln der Orthodoxie um eigenes „Unheil“ abzuhalten. Beispielsweise wurden Kanäle und Abwasseranlagen gegen Cholera nicht wegen der betroffenen „Armen“ errichtet, sondern um das Unheil von den Reichen in den selben Städten abzuhalten. Analog so de Swaan weiter wäre die Masse der schlecht abgesicherten Arbeiter als Bedrohung
fu?r die Betriebe wahrgenommen worden; daher wurde durch Sozialversicherungen in Wirklichkeit die Existenz der Betriebe gesichert.

Vielleicht braucht es also deutlichere Bedrohungsszenerien für die „Reichen“, um hier Handlungen in die Wege zu leiten?

Manchmal ist wohl die Wahrheit eindeutig eine Frage des eigenen Standpunkts.

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