Gibt es eine sinnvolle Verknüpfung zweier Welten?

Ole Seidenberg, Soziologe und SocialBlogger.de, schreibt im Aufruf zur 16. NPO- Blogparade

Nicht selten – wie fast immer, wenn es etwas neues gibt – wurden vom Web 2.0 „Wunder“ erwartet. Die bislang ausbleibenden Freiwilligen, die zurückgehenden Spender, die Kampagne, die nicht so recht funktionieren wollte: Das Wundermittel Web 2.0 würde es schon richten.

Doch vermehrt kommt die Frage auf: Wie lässt sich tatsächliches Handeln, wie Verhaltensmuster der Menschen „auf der Straße“ durch Social Media ändern.

Und er fragt weiter (auch im Original in Orange): Wie gelingt die sinnvolle Verknüpfung von Social-Media-Werkzeugen mit Offline-Aktionen/Handeln?

Obwohl die Frist zum Kommentar bereits vergangene Woche abgelaufen ist, erlaube ich mir hier ebenfalls meine Kommentare dazu abzugeben – wenn ich Glück habe werden sich diese auch noch in der Zusammenfassung wiederfinden.

Zunächst erscheint es mir wichtig, mein bekanntes Credo zu wiederholen: bei Social-Media-Tools handelt es sich „nur“ um weitere Tools der Kommunikation, die in den bestehenden Kommunikationsmix einer Organisation eingebunden sein sollten. Die sinnvolle Verknüpfung ergibt sich daher bereits vor dem Einsatz des Werkzeugs oder dem operativen Offline-Handeln in der dahinterliegenden Strategie, dem die Kommunikationstools, egal ob on- oder offline.

Problemkreis eins: Entkoppelte Teilsysteme

Vergangenes  Jahr habe ich eine Frage, die ebenso von Ole kam – zu den Kehrseiten des Web 2.0 für NPO – unter anderem damit beantwortet:

Das Medium (wenn man das Web2.0-Toolbündel als solches subsummieren darf) eignet sich zwar im Bereich des breiten intellektuellen Diskurses als weiteres Tool im akademischen Medienmix im Sinne einer Demokratisierung der Meinungen, aber es ist kein adäquates Mittel, um die Bedürftigen als Stakeholderinnen auf der einen und die SpenderInnen auf der anderen Seite des Stakeholderkontinuums zuverlässig zu erreichen. Die Tools können bestenfalls die bewährten Systeme ergänzen und klassische Kommunikation auf eine andere Ebene heben, also im Sinne Luhmanns anschlussfähig machen. Aber Achtung – genau das kann auch zu einer Abkopplung des Web2.0 Bereichs und laufender Anschlusskommunkation und konstruktivistischer Selbstdefinition des Kommunikationsversuchs als selbstreferentielles Subsystem führen, das lediglich im (auch nicht viel mehr externen) Web2.0 rezipiert wird.

Probleme dieser Art des fehlenden Einkoppelns von medialer Kommunikation in die Offline-Realität werden immer wieder beobachtet, weil sich eben diese Subsysteme bilden, die dann keinerlei Verbindung mehr in andere Systeme benötigen. Hier muss nach der Anschlussfähigkeit der Systeme getrachtet werden.

Problemkreis zwei: Digital divide

Ein zweiter Problemkreis kann sich aufgrund der Mediennutzung unterschiedlicher Anspruchsgruppen ergeben, dieser Effekt ist im Bereich der klassischen Medien als „Streuverlust“ bekannt. Doch wenn der Streuverlust die tatsächliche Wirkung um ein mehrfaches übersteigt, so kann wohl nicht mehr von effizienter Kommunikation gesprochen werden. Wie bereits 2007 im Blogbeitrag „Blogs und Web2.0 als Instrumente der Segregation“ geschrieben – heute hoffentlich weniger krass als vor drei Jahren – hat das Web und Social Media nämlich ein Problem, gewisse Bevölkerungsschichten zu erreichen. Selbst Personen, die technisch dazu in der Lage wären, sind jedoch resistent gegen verschiedene Maßnahmen der online-Kommunikation – gerade wenn sich diese außerhalb ihres Lebensstils abspielt. Ein Beispiel dafür ist das ganze Thema der Xenophobie oder das Thema Migration, wo Argumente offenbar anders vermittelt werden müssen, als in Magazinen.

Neuinterpretation der Frage

Weitere Hermeneutik der Fragestellung („Wie gelingt die sinnvolle Verknüpfung von Social-Media-Werkzeugen mit Offline-Aktionen/Handeln?“) kann auch zum Ergebnis führen, dass diese eigentlich genau die Entkopplung der Kommunikation gemeint hat, und wie man diese verhindern kann. Doch auch bei der Entkoppelung von kommunikativer Realität und Alltagsumwelt unterscheiden sich die einzelnen Medien (also On- und Offline)  nicht. Inwiefern wird ein Artikel aus der „Zeit“ real, wenn er gedruckt ist? Unterscheidet er sich damit hinsichtlich seines Eintritts in die Realität von einem Tweet, einem Facebook-Termin oder einem Youtube-Video?

Hier geht es möglicherweise auch – aus Sicht eines kommunikationstheoretischen Ansatzes – um das lebensweltliche und reale Manifestieren von Kommunikationszusammenhängen jeglicher Medien. Das gelingt – und jetzt hängt es vom jeweiligen sozialwissenschaftlichen Paradigma ab, mit dem man seine subjektive Realitätskonstruktion begründen möchte – nur unter Zuhilfenahme sozialwissenschaftlicher Theorien, beispielsweise mit jenen von Bourdieu (mein Favorit), oder um wieder nach Deutschland zu schauen, von Luhmann oder Habermas.

Wer es mit dem Theoretischen nicht so hat, kann sich auch die Taktik verschiedenster politischer Thinktanks ansehen. Wie ist beispielsweise der Neoliberalismus aus den dunklen Gruften unter der Chicagoer Universität wiederauferstanden?

Antworten oder noch mehr Fragen?

Wenn ich mir mein Posting nun durchlese, so sehe ich, dass ich eigentlich wieder einmal geschafft habe, aus einer einfachen Frage mehrere komplizierte Fragen abzuleiten, für die ich – mangels weiterer Zeit zum nachdenken – so konkret überhaupt keine Antworten habe.

Vielleicht ist das der Grund warum ich immer seltener um meine Meinung zu verschiedenen Themen gefragt werde?

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