Grenzenlose Menschlichkeit?

Ende des Jahres 1989 fiel der „sozialistische Arbeiter und Bauernstaat“, wie sich die Stasi-Diktatur der Deutschen Demokratischen Republik selbst bezeichnete zusammen. In Deutschland gibt es dazu derzeit – 2014 ist ja das 25. Jubiläum dieses historischen Ereignisses – viele Gedenkfeiern und Erinnerungsveranstaltungen. Zahlreiche Bücher und Fernsehdokumentationen bringen die Erinnerung an die Ereignisse zurück ins Gedächtnis.

Mauerfall in Eisenstadt?

Der Mauerfall vor 25 Jahren. Damit begann die Auflösung politischer Strukturen nicht nur in Europa und ein Paradigmenwechsel im zwischenstaatlichen Zusammenleben

Doch auch für Österreich und das Österreichische Rote Kreuz war diese Zeit des radikalen politischen Wandels eine Herausforderung, ging doch dem „Mauerfall“ am 9. November eine grosse Fluchtbewegung aus der DDR über Ungarn und Österreich voraus. Mehr als 50.000 Menschen kamen innerhalb weniger Wochen über die Grenze nach Österreich und wurden vom Roten Kreuz versorgt. Der größte Teil passierte die Grenze im Bereich des Burgenlandes, weshalb auch das Rote Kreuz Burgenland zu jener Zeit den größten humanitären Hilfseinsatz in seiner Geschichte durchführte.

Menschliche Erinnerungen von Seiten der Helfer

Unter dem Titel „Grenzenlose Menschlichkeit“ haben Tobias Mindler und Johannes Steiner Anfang Oktober in Eisenstadt ihr Buch über den Rotkreuz-Einsatz zur Unterstützung der DDR-Flüchtlinge vor 25 Jahren präsentiert. Neben einem Überblick über die historische, geopolitische und sozialen Entwicklungen in dieser kuren Zeit widmet sich der Hauptteil der Monographie den Menschen, die damals geholfen haben. Persönliche Erinnerungen schildern emotionale Momente der persönlichen Begegnungen, der zwischenmenschlichen Solidaridät über Landes- und Sprachgrenzen und des individuellen altruistischen Engagements innerhalb und auch ausserhalb des Roten Kreuzes.

Von Schwester „Liebe“ und dem ungarischen „Häfen“

Gerade diese persönlichen Erinnerungen von Helferinnen und Helfern machen dieses Buch lesenswert. Bei manchen Geschichten muss man schon sehr hartgesotten sein, wenn nicht Tränen in die Augen bekommt, wie bei  Ljuba – die nicht nur im Rotkreuz-Dienst half, sondern auch privat. Um eine getrennte Familie auf ihre eigene Gefahr wieder zu vereinen, schmuggelte sie ein kleines Kind unter ihrem Mantel von Sopron nach Nickelsdorf. Oder bei Leopold, der als ehrenamtlicher Fluchthelfer sogar beschossen wurde und in einem kommunistischen ungarischen Gefängnis landete.

17  ehemalige und aktive Rotkreuz-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten von ihren persönlichen Erinnerungen. Archivmaterial und vor allem persönliche Fotos aus diesen emotionsreichen Wochen im Spätsommer und Herbst 1989 ergänzen die Geschichten vom Helfen. Die Schilderungen dieser Zeitzeugen lassen die Situation realitätsnah vor Augen erscheinen, die Problematik in der Logistik, die Versorgung der hungrigen Menschen, die oftmals nichts mit hatten, ausser das was sie am Körper trugen. Sie zeigen aber auch die große Kraft der menschlichen Hilfe, die Dankbarkeit und Zufriedenheit der Betroffenen und die Bescheidenheit der Helferinnen und Helfer, die einfach bloss da waren, wenn man sie brauchte. Aus Liebe zum Menschen.

Zurück in die Zukunft?

Die Geschichten brachten mich nicht nur zum weinen,sondern auch zurück in meine Errinnerungen an meine frühen Jahre beim Roten Kreuz, in jene Zeit der absoluten Begeisterung für diese humanitäre Idee. Ich selbst war zu der Zeit der DDR-Flüchtlingshilfe zwar schon Rotkreuz-mässig engagiert und einige meiner Kollegen halfen auch – gerade der so genannte Kat-Zug aus Brunn am Gebirge unterstützte auch die burgenländischen Kollegen, doch an mir selbst ging dieser Einsatz vorbei, ich war wohl zu intensiv in Sachen Rettungsdienst (und Erlangung der Matura) beschäftigt.

Ich bin mir sicher, dass Sammlungen von (humanitären) Zeitzeugenberichten wie diese dazu beitragen, unsere Kultur des Helfens, die „Liebe zum Menschen“ jedem verständlich zu machen. Eigentlich sollte jeder Rotkreuz-Mitarbeiter, jede Rotkreuz-Mitarbeiterin dieses Buch haben, um zu verstehen was Menschlichkeit bedeutet – grenzenlose Menschlichkeit.

Bibliographie

Grenzenlose Menschlichkeit
Grenzenlose Menschlichkeit

Mindler Tobias und Steiner Johannes (2014): Grenzenlose Menschlichkeit. Wie das Rote Kreuz Burgenland 1989 den DDR-Flüchtlingen half, Eisenstadt: Rotes Kreuz Burgenland

 

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