Mein Tagebuch der Hilfe. Bagdad, 21. Juli 2003

Martina Schloffer in bagdad
Martina Schloffer in Bagdad

Unter dem Titel: IRAK – mein Tagebuch der Hilfe berichtete Martina Schloffer im Jahr 2003 direkt aus Bagdad, wo sie von Mai bis September 2003 als Delegierte des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz stationiert war. Wir veröffentlichen dieses Tagebuch nun auch in unserem Einsatzblog.

Niemand hier weiß genau, wie gefährlich die Situation ist. Das Rote Kreuz hat auf jeden Fall die Sicherheitsstufen hinauf geschraubt – die Ausgangssperre am Abend und die äußerst vorsichtige Bewegung in Bagdad werden uns also auch in nächster Zeit erhalten bleiben.

In der vergangenen Woche habe ich einen Kurzurlaub in Österreich verbracht. Für ganze drei Tage habe ich Bagdad Richtung Heimat verlassen, um bei der Hochzeit einer Freundin in Krems dabei zu sein. Es war sehr fein, Eltern und Freunde zu treffen. Bei einer Stippvisite in meiner Wohnung habe ich bemerkt, dass ich einen neuen Nachbarn habe, aber ich hatte nicht einmal die Zeit, um ihn zu begrüßen.

Alle haben mir erzählt, wie heiß der Sommer in Wien ist. Als ich in Schwechat angekommen bin, hat es geregnet! Das hat so gut getan. Ich bin freiwillig im Regen stehen geblieben, weil ich es so genossen habe, die Tropfen auf meinem Kopf zu spüren.

Zurück zu meinem Alltag. Eigentlich habe ich einen Schreibtischjob, auch wenn sich das in Bagdad anders auswirkt. Ich bin ständig unterwegs, von einem Meeting zum anderen, von einem Büro zum anderen. Denn als Koordinatorin für die Hilfsaktivitäten der einzelnen nationalen Rotkreuzgesellschaften bin ich verpflichtet, das gespendete Geld nach seinem Bestimmungszweck zu verwenden. Bei mir laufen also die Fäden zusammen: Viele Spender aus aller Welt geben Geld an ihre Rotkreuz- oder Rothalbmondgesellschaft, weil sie etwas für die Kinder im Irak tun möchten, oder weil sie uns helfen, die Wasserversorgung wieder aufzubauen oder die Programme für Minenopfer unterstützen, oder die Familienzusammenführungen. Wir haben die Verpflichtung gegenüber den Spendern, dass dieses Geld so verwendet wird, wie es gewidmet ist.

Es ist meine Aufgabe, mich mit diesen einzelnen Gesellschaften abzustimmen und zu wissen, wofür sie Geld haben und wo es nach den Rückmeldungen unserer Teams gebraucht wird. Norwegen finanziert zum Beispiel eine Anti-Minen-Kampagne und orthopädische Werkstätten im Norden des Landes. Aus Österreich haben wir Blutbeutel und Geräte für Bluttransfusionen zur Versorgung von Kliniken bekommen. Mit dem von Österreich gestifteten Wassertank-Fahrzeug gelingt es uns endlich, auch abgelegene Orte mit Trinkwasser zu versorgen. Diese Hilfe kommt speziell den Kindern zu, die gerade unter der Wasserknappheit extrem zu leiden haben.

Natürlich ist es auch manchmal schwierig, der Spenden-Verpflichtung nachzukommen. Wie überall gibt es begehrte Bereiche, die schnell abgedeckt sind und andere dringende Projekte, für die kein Geld da ist. Es gibt aber auch Spenden, die sozusagen „frei“ sind und dann je nach Dringlichkeit verwendet werden.

Die Notwendigkeiten und der Bedarf ändern sich oft schnell, beinahe wöchentlich gibt es neue Listen mit überlebenswichtigen Projekten, die angegangen werden müssen. Wo soviel Hilfe gebraucht wird, ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen sehr wichtig. Damit möglichst alle Bereiche und Regionen abgedeckt werden, sprechen wir uns untereinander ab. Sodass jede Expertise ganz effizient eingesetzt wird.

Das internationale Interesse sinkt spürbar ab, die langfristige Hilfe ist überhaupt ein unbeliebtes Thema. Es braucht einiges an Überzeugungsarbeit, um den Spendern klar zu machen, wie wichtig langfristige Aufbauhilfe für die Stabilität des Landes ist.

Denn die erste Welle der Nothilfe ist inzwischen vorbei, es geht nicht um Notoperationen, oder fehlende Medikamente, es geht darum, ein Land aus dem Rückstand zu holen und wieder aufzubauen. Der Krieg hat seine Spuren in ganz grundlegenden Dingen wie bei der Wasser- und Stromversorgung hinterlassen. Nach den Genfer Konventionen ist die Besatzungsmacht verpflichtet, die Basisversorgung wieder herzustellen. Auch da muss nach wie vor Überzeugungsarbeit geleistet werden.

Ein großer Teil der Rotkreuz-Arbeit passiert im Stillen. Familienzusammenführung, die Bearbeitung von Suchanträgen, der Austausch von Rotkreuz-Nachrichten sind Bereiche, in denen wir sehr aktiv sind und die sehr wichtig sind. Von außen betrachtet, handelt es sich dabei um unspektakuläre Kleinarbeit, die für die betroffenen Familien aber verständlicherweise eine unglaubliche Bedeutung hat.

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