Mein Tagebuch der Hilfe. Bagdad, 30. Juni 2003

Martina Schloffer in bagdad
Martina Schloffer in Bagdad

Unter dem Titel: IRAK – mein Tagebuch der Hilfe berichtete Martina Schloffer im Jahr 2003 direkt aus Bagdad, wo sie von Mai bis September 2003 als Delegierte des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz stationiert war. Wir veröffentlichen dieses Tagebuch nun auch in unserem Einsatzblog.

Ein kompletter Stromausfall in ganz Bagdad und die damit verbundene Unterbrechung der Trinkwasserversorgung haben in der Vorwoche für große Unruhe gesorgt. Auf einen Schlag war in der ganzen Stadt der Strom weg. Wie wenn ein riesiger Schalter umgelegt worden wäre – die Ursache ist bis heute nicht geklärt. Manche glauben, es hat mit dem Anschlag auf die Pipeline zu tun. Gerüchte behaupten, die Coalition Forces strafen die Bevölkerung so für Anschläge.

Mit dem Strom versiegt auch das Wasser. Bagdad liegt etwa 30 Meter über Meeresniveau, was bedeutet, dass alles Wasser elektrisch in die Leitungen gepumpt werden muss. Bei Temperaturen um die 45 Grad gab es ohne Strom keine Kühlung und kein Wasser. Eisschränke, Ventilatoren, Klimaanlagen und die Trinkwasserversorgung, alles war lahm gelegt.

Wasser und Strom sind Lebensmittel im wörtlichen Sinn. Deswegen hat auch das Österreichische Rote Kreuz mit einem Teil der Spenden aus der Irak-Hilfsaktion einen Tanklaster finanziert. Über viele Umwege ist er aus Amman nach Bagdad unterwegs, die direkte Hauptroute zu benützen ist zu gefährlich.

Auch wir haben die Stromausfälle ordentlich gespürt und versucht einzuspringen. Dort wo ganze Stadtviertel ohne Wasser und Strom waren, haben wir mit 18 Tankfahrzeugen die Bevölkerung notdürftig mit Wasser versorgt. Bei der Verteilung bekommt man auch zu spüren, wie aufgebracht die Einwohner sind. Die Ungeduld in der Bevölkerung gegenüber den Besatzern steigt spürbar. Gegen uns gibt es keine Aggressionen, aber die Geduld mit der Administrationen erschöpft sich sichtlich. Die Menschen verstehen nicht, warum nichts da ist und alles schlechter funktioniert als vor dem Krieg. Niemand wünscht sich frühere Zeiten zurück, aber die Menschen sind immer unwilliger zu verstehen, was das große Problem ist, das sie davon abhält, wieder ein normales Leben zu führen.

Das Rote Kreuz hat ja auch schon während der Angriffe laufend Wasserwerke repariert, das ist zwar eine sehr unspektakuläre Arbeit, aber in der Woche des Stromausfalls hat sich gezeigt, wie wichtig das ist. Die von uns installierten Generatoren haben 40 Prozent der Wasserversorgung aufrecht gehalten. Das bedeutet in einer Metropole wie Bagdad, dass die Versorgung von etwa zwei Millionen Menschen gewährleistet war.

Bei solchen Ereignissen kommen zwiespältige Gefühle auf. Einerseits freuen wir uns, dass wir helfen können, andererseits ist es schwierig zu beobachten, dass immer noch das pure Chaos herrscht.

In den ländlichen Gegenden ist die Versorgung noch schlechter, unsere Wasserteams sind ständig draußen. Seit dem Krieg haben sie bereits 49 Pumpanlagen instand gesetzt und so für 3,5 Millionen Menschen die Versorgung verbessert, 62 Gesundheitszentren sind mit Wasser versorgt, was 14.000 Patienten betrifft.

Wie der Strom dann wieder eingeschalten wurde, gab es extreme Schwankungen. Der Endeffekt war ein veritabler Kabelbrand in meinem Zimmer. Zum Glück war ich nicht drinnen – die Flammen gingen mir bis zur Schulter. Wir haben im Wohnzimmer gespielt und zwei Kracher gehört. Nachdem Pistolenschüsse nichts Besonderes mehr sind, haben wir dem keine große Beachtung geschenkt. Dann aber haben wir den Brandgeruch in der Nase gehabt. Im Stiegenhaus war schon alles vernebelt. Ein paar Minuten später und das ganze Haus wäre in Flammen gestanden. Wir konnten den Brand zwar löschen, aber danach war alles Schwarz. Bücher, Kleidung, Papiere, meine gesamten Habseligkeiten. Die halbe Nacht haben wir aufgeräumt. Unser Haus hieß im internen Jargon „Maison blanche“ – das weiße Haus. Wir haben es umgetauft – auf das „Schwarze Haus“.

Die Sicherheitslage auf den Straßen verändert sich spürbar. Angriffe auf die Coalition Forces mehren sich. Wir schauen, dass wir nie in die Nähe von militärischem Personal kommen. Im Kontrast dazu normalisiert sich das Leben auf der Straße, die Geschäfte haben am Abend auch länger offen, die Plünderungen gehen zurück. Man kann in Restaurants essen gehen, es herrscht Hochbetrieb auf den Straßen, die Ampeln stehen immer noch permanent auf Rot und werden konsequent ignoriert – das einzige, was dir eine rote Ampel sagt, ist: Ja, es ist Strom in der Ampel. Manchmal frage ich mich, wie sich diese Angewohnheit in Österreich auswirken wird, wenn ich wieder da bin.

Das österreichische Herz in meiner Brust konnte sich heute über einen schönen Erfolg freuen. Die Onkologin Eva-Maria Hobiger versucht seit eineinhalb Jahren, Geräte zur Herstellung von Blutkonserven in den Irak zu bringen. Das Österreichische Rote Kreuz hat sie dabei unterstützt. Wir sind aber bisher immer an den UN-Sanktionen gescheitert. Jetzt endlich sind die Geräte in Basra angekommen.

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