Europäische Solidarität: Die richtige Hilfe zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Der Europäische Zivilschutzmechanismus (EU/CP-Mechanismus) ist eine Möglichkeit für die Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten im Rahmen von Zivilschutz- und Katastrophenhilfeeinsätzen. Eine Informations- und Koordinationsstelle (das Emergency Response Coordination Center, ERCC) unterstützt hier die Mitgliedstaaten des Mechanismus, das sind die EU-Mitglieder und weitere Staaten (Island, Montenegro, Norwegen, Serbien und Mazedonien) und stellt bei Bedarf auch ein Spezialistenteam, das Koordinations- oder Assessment-Aufgaben vor Ort wahrnehmen kann. (Infoseiten im Rotkreuz-Portal zum Katastrophenmanagement)

Europäische Zivilschutzteams tragen die charakteristischen blauen Westen
Europäische Zivilschutzteams tragen die charakteristischen blauen Westen

Das Österreichische Rote Kreuz hat mehrere Expertinnen und Experten, die im Rahmen dieses Mechanismus als Expertinnen und Experten ausgebildet sind. Diese fuhren in den vergangenen Jahren – ausgestattet mit den charakteristischen blauen Westen mit goldenen Sternen – auch immer wieder im Auftrag der Republik Österreich auf EU/CP Missionen, um innerhalb und außerhalb der Europäischen Union die Europäische Hilfe zu unterstützen und damit nicht zuletzt auch die Solidartät Österreichs praktisch unter Beweis zu stellen. Erst heuer im Frühjahr war einer meiner Kollegen in der Ostukraine, um die humanitäre Hilfe zu unterstützen.

Neben der Koordination von eintreffenden Hilfsgütern und europaweit genormter Einheiten zur (meist technischen) Hilfe vor Ort – so genannten Modulen – ist auch das Assessment, also die Beurteilung der Situation vor Ort und die Einschätzung der Bedürfnisse eine wichtige Aufgabe dieser Experten. Im Rahmen eines einwöchigen Kurses konnte ich diese wichtige Fertigkeit Anfang Juli 2015 trainieren.

Start in Bulgarien

Seminarstart in der bulgarischen Hauptstadt Sofia
Seminarstart in der bulgarischen Hauptstadt Sofia

Zunächst haben sich 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Europa in Sofia getroffen. Dort gab es zwei Tage lang theoretische Sessions zu den Grundlagen von Assessments und zu den Herausforderungen, die ein solcher Einsatz jedem einzelnen bringt. Themen waren unter anderem auch die Kultursensibilität, das Teambuilding oder der Umgang mit Medien im Einsatz. Auch der richtige Umgang mit technischem Equipment, wie GPS-Geräte, Satellitentelefon oder Satelliten-Internetverbindung war Teil des Trainings. Von nun an wurde in fixen Teams trainiert: Eine Geocaching-Übung war das Finale dieses Trainings, das Siegerteam freute sich über Süßigkeiten und eine Flasche Wein, die in einer großen Transportbox mittels Code gesichert war. Ach ja, ich war im Siegerteam 🙂

Erdbeben, Tsunami: Das Worst Case Szenario für eine Insel am Rande Europas

Das Briefing am nächsten Tag begann mit einer eMail, die jeder Teilnehmer schon in der Nacht erhielt:

please find attached the ECHO Crisis Report – CP-Message 1 regarding the earth-/ sea-quake in the eastern Mediterranean Sea this morning

Jetzt fanden wir relativ rasch in die Situation. Das Team bestimmte mich als ersten Teamleader, wir wollten aber jeden Tag im Einsatzgebiet tauschen, damit das auch jeder üben kann. Das Einsatzgebiet? Ach ja: Wir wurden nach Zypern entsendet. Nach einem Skype-Videotelefonat mit dem Leiter der dortigen Zivilschutz-Behörde, der uns die Situation vor Ort und die Struktur der zypriotischen Behörden darlegte, hatten wir noch grob zwei Stunden zur Vorbereitung. Danach ging es ins Taxi zum Flughafen. Nun waren wir alleine (also fast, denn wir hatten einen Schatten der Übungsleitung mit, der den Namen Thorsten trug) unterwegs. Am Flug waren unsere Plätze vorab schon gebucht, der Flughafen hatte zum Glück noch WLAN, um Recherchen zu machen und einiges zu planen.

Am Flug nach Zypern
Am Flug nach Zypern

Nach der Landung in Larnaca am Abend formierten wir uns und vor dem Ausgang wartete bereits ein Kamerateam (danke an der Stelle an den fabelhaften Mario Dobovisek, als Redakteur) und der Verbindungsoffizier des Zypriotischen Zivilschutzes, der uns in die Lage eingewiesen hat.

Die Übung war mehr als realistisch: Alle Mitspieler, egal ob vom Zivilschutz, von nationalen Behörden, lokalen Gemeindevertretungen, Krankenhäusern, Feuerwehren, Fieschereiämtern, … waren jene Personen, die diese Funktionen auch in der Realität ausüben. Das heißt, wenn man zum Vorsitzenden der Gemeindeverwaltung in einem Vorort von Limassol gegangen ist, so traf man genau den Vorsitzenden, der sich zwischen seinen realen Terminen Zeit für die Übung genommen hat.

Der Autor am Steuer eines zypriotischen Wagens. Wegen der britischen Geschichte fährt man hier links.
Der Autor am Steuer eines zypriotischen Wagens. Wegen der britischen Geschichte fährt man hier links.

Am Flughafen wartete zudem ein Mietwagen auf uns, mit dem wir uns zugleich auf den Weg nach Limassol machten. Unser Hauptquartier nahmen wir in einem Hotel in Limassol – kein Zufall, dass die Übungsleitung im Nachbarraum weilte. Von dort aus hatten wir Tag für Tag drei bis vier Erkundungsaufträge zu absolvieren. Auf der gesamten Insel. Unser Bild über die Katastrophe, das Ausmaß der Schäden, die Zahl der Betroffenen und auch die benötigten Unterstützungen wurden mit jedem Treffen klarer. Täglich auch ein Update mit dem ERCC in Brüssel: zunächst ein Telefongespräch und danach den täglichen Lagebericht, der dann im Normalfall an die Mitgliedsstaaten weitergeleitet wird.

Ein starkes Team

Dazwischen wurde jedes unserer Teammitglieder immer wieder interviewt – Medientraining war nämlich auch Teil des Kurses. Apropos Teammitglieder, die wurden ja noch gar nicht vorgestellt. Neben mir, dem Österreichischen Rotkreuz-Mitarbeiter waren an Bord: Roy, ein Diplomat aus den Niederlanden, der als UNDAC-Teammitglied ebenfalls am Kurs teilnahm; Edmunds, ein lettischer EU-Beamter aus der Generaldirektion für Humanitäre Hilfe, wo er für Zivilschutzagenden verantwortlich ist und Benoit, der in Brüssel als Zivilschutz-Mitarbeiter tätig ist. Ein fünftes Mitglied sagte seine Kursteilnahme am Tag des Kursbeginns leider ab.

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Team-Feedback in Nikosia. v.l.n.r: Thorsten (Schatten), Roy, Benoit und ich. Das vierte Teammitglied verblieb im Hauptquartier zum Informationsmanagement. Im Spiegel: Monika, Schatten und Team-Building-Trainerin.

Besonders lehrreich war das Feedback, das wir uns als Team gegenseitig gaben. Nach jedem Meeting vor Ort gab es eine Feedback-Runde. Jeder schilderte, wie er selbst die Situation erlebt hat, danach gab noch unser Schatten Thorsten seinen Eindruck wieder. An zwei Tagen war zudem eine Cultural-Awareness und Teambuilding-Trainerin mit, die ebenfalls noch ihre Einschätzungen mit uns teilten. Diese 360°-Feedbacks waren mehr als wertvoll: man hatte unmittelbar Informationen über sein eigenes Wirken und über die Art, wie dieses Handeln von anderen empfunden wurde.

Informationsverarbeitung: der wesentliche Teil des Einsatzes.

Ein Mitglied unseres Teams blieb immer im Büro und war für das Informationsmanagement zuständig. Laufender Kontakt ins ERCC, Vernetzung mit dem zypriotischen Verbindungsoffizier und auch die permanente Aktualisierung der Einsatzkarten bzw. Tabellen war seine Aufgabe.

Datenaufbereitung der wesentlichen Übungsinformationen.
Datenaufbereitung der wesentlichen Übungsinformationen (Zwischenstand).

Aus diesen Daten dann auch noch Trends und Entwicklungen abzulesen und diese mit den Informationen aus anderen Quallen zu vernetzen, ist meines Erachtens fast noch interessanter, als draußen vor Ort diese Daten zu erheben. Dazu braucht es neben guten Skills in den verschiedenen Datenanalysewerkzeugen auch ein großes Prozess- und Kontextwissen in der Domäne des Katastrophenmanagements. Auch die Vorbereitung des täglichen Lageupdates, das am Abend nach Brüssel geschickt wurde, war Teil des Jobs als Informationsmanager.

Der Vorhang zu, und alle Fragen offen?

Nach vier sehr anstrengenden Tagen in Zypern endete auch dieses Training. Es war wohl eines der spannendsten, die ich bis jetzt besuchen durfte. Einerseits, weil die Situation wirklich herausfordernd war: durchgehend englischsprachig Meetings zu führen, Teams zu koordinieren, zu diskutieren oder auch Berichte zu schreiben, andererseits weil die Ergebnisse für mich selbst so wertvoll waren: laufendes Feedback zum eigenen Handeln auf allen Ebenen, Selbstreflexion mit eingeschlossen. Und, so wie das bei allen guten Ausbildungen der Fall ist, stellen sich für mich am Ende wieder mehr Fragen, als ich sie am Anfang hatte. Eine davon, vielleicht kann ich sie in meinem Blog einmal ausführlicher formulieren, ist die Erkenntnistheorie des Assessment, die Epistemologie hinter all diesen Dingen. Wie kann man verhindern, dass man sich nur manche gesellschaftliche Gruppen ansieht, wie sehr beeinflusst man als Team selbst die Ergebnisse seiner Evaluierungen, …?

Etwas wie ein Epilog

Im Feld: Viel gelernt, und alle Fragen offen?
Im Feld: Viel gelernt, und alle Fragen offen?

Dank einer längeren Wartezeit auf den Rückflug konnte ich einige dieser Fragen noch mit „unserem Schatten“ Thorsten und dem Kursleiter Wolfgang Krajic besprechen. Danke an dieser Stelle an die gesamte Kursorganisation, die hier wirklich wertvolle Arbeit geleistet hat. Danke an Mitarbeiter im Österreichischen Innenministerium (in Österreich der Koordinationspunkt für den EU/CP-Mechanismus) für die Nominierung zum Kurs.

Am Heimflug durfte ich noch gemeinsam mit einer St. Pöltner Ärztin und einer Scheibbser Krankenschwester als Ersthelfer agieren und traf nach der Landung noch nette Kollegen der Flughafenambulanz in Wien. Danke auch für Eure Unterstützung!

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