Heute einmal realpolitische Österreichische Satire im Sommerloch, oder wie man als chronikaler Tageszeitungsjournalist auch mal zu bundesweiten Zitaten kommt, ohne reale Fakten zu haben.
Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass es hier weder darum geht, ob die Rettungsgasse gut ist, oder schlecht. Eine Meinung kann man sich – davon bin ich überzeugt – erst mittel- und langfristig bilden, es macht auch keinen Sinn ein Stadtentwicklungskonzept 2 Monate nach inkrafttreten zu evaluieren. Klar, dass die Meinungslage unter Österreichs AutofahrerInnen hier divers ist, geht es doch um zwei der emotionalsten Dinge, mit denen man einem Homo Austriacus konfrontieren kann: die heilige Kuh der individuellen Mobilität einerseits und den Stau der jedem wertvolle Lebenszeit stiehlt, die man sonst vor dem Fernseher oder auf der Toilette verbringen könnte.
Bereits im gestrigen Kurier wurde ein erster – nennen wir ihn mal schlampig recherchiert – Artikel publiziert, der mit der „Rettungsgasse“ so richtig aufräumt. Dort wird jemand zitiert, von dem in Österreich bis dahin niemand gehört hat:
„Wir sind seit 27 Jahren einsatzmäßig im Staubereich unterwegs. Es gab keinerlei Notwendigkeit für die Rettungsgasse. Sie wird auch niemals funktionieren“, sagt Hermann Dominik, Leiter der Sanitätsstaffel des Österreichischen Rettungsdienstes. „Wer die Rettungsgasse wieder abschafft, den schlage ich für einen Orden vor.“
Dominik wer? Österreichischer Rettungsdienst? Mal schnell auf deren Homepage geschaut. Eigenartig stimmt mich, dass man kein Impressum findet. Der nic.at-Eintrag für die Domäne verweist als Besitzer auf den im Kurier zitierten Herrmann Dominik, keinen Verein. Auf der Homepage selbst (hoffentlich korreliert die Qualität der angebotenen Services nicht mit der Qualität des Webdesigs) findet man den Präsidenten der Organisation, der den selben Namen trägt, wie der Leiter der Sanitätsstaffel und den „Zuständigkeitebereich“: Zell am Ziller, Lungau oder das Ennstal. Alles drei klare Qualifikationen für ein Interview mit dem Kurier. Und alles drei auch stark von Stau-belasteten Autobahnen durchzogene Regionen Österreichs.
Okay, denk ich mir. Halt den falschen Interviewpartner erwischt. Doch siehe da, der nächste Tag kommt mit der aufgewärmten Geschichte vom Vortag, allerdings nun mit „politischer“ Komponente. Wer wird nun zitiert? Richtig. besagter Herr Dominik, der damit zwei Tage hintereinander zu „15 Seconds of fame“ kommt – so viel hätte ihm wohl auch Andy Warhol nicht zugestanden. Zumindest nicht bei diesem Thema.
Wie berichtet, üben Polizisten, aber auch Feuerwehren Kritik an der Rettungsgasse. Der Österreichische Rettungsdienst forderte sogar eine rasche Abschaffung. „Es gab keinerlei Notwendigkeit für die Rettungsgasse“, sagt der Leiter der Sanitätsstaffel des Rettungsdienstes Hermann Dominik. „Sie wird auch niemals funktionieren.“
Noch skeptischer macht der Versuch „ÖRD“ oder Österreichischer Rettungsdienst im zentralen Vereinsregister aufzufinden. Mir ist das leider nicht gelungen. Mangels online-Verweis auf eine ZVR Nummer, die im öffentlichen Verkehr anzugeben ist, fällt es schwer, den legalen Status obgenannter Organisation überhaupt zu überprüfen, wundert mich daher, wie der NÖ Kurier diese Geschichte und den OT verifiziert hat. Auch das Impressum der Seite fand ich nicht. (Korrektur 13:45: wurde von mehreren Lesern aufmerksam gemacht, dass die ZVR-Nummer auf einer Unterseite zu finden ist und ZVR: 531244459 lautet. Mein Recherchefehler. Zum Glück schreibe ich in keinem Medium)
Spannend ist allerdings die Genese des exklusiven Interviewpartners, was seine Meinungsbildung hinsichtlich der Rettungsgasse betrifft: Was sagt die Homepage seiner Organisation noch im Juli? (Danke, Google-Cache: http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache%3A4DqEAIA5iYAJ%3Awww.oerd.or.at%2Fcategory%2Frettungsgasse-ab-2012-auf-osterreichs-strasen-pflicht-%E2%80%93-asfinag-und-osterreichischer-rettungsdienst-informiert-uber-verbesserung-im-rettungsdienst+&cd=2&hl=de&ct=clnk&gl=at&client=firefox-a)
Um diese Situationen zu verbessern erfolgt nun die vom ÖRD stets gewünschte Einführung einer RETTUNGSGASSE ab 2012 im österreichischen Straßenverkehr bei Stau und Notfällen: ÖRD Rettungsfahrzeuge und Fahrzeuge anderer Organisationen kommen oftmals nur deshalb mit Verzögerung an den Unfallort, weit die Zufahrt durch andere stehende Fahrzeuge behindert werden.
Dazu fällt mir nur Robert Hochners Zitat ein, dass die Rache des Journalisten an den Politikern das Archiv sei. In dem Falle wäre eine Archivsuche in jedem Fall erkenntnisreich gewesen, sie hätte das Bild über den freigiebigen Spender des Zitats in jedem Falle erweitert.
Wieder Fakten, die dem Redakteur wegen fehlender Web-Literacy wohl nicht zugänglich waren. Apropos Fakten. Auch diese wurden offenbar nicht recherchiert, denn weder das Rote Kreuz, noch die Feuerwehr, geschweige denn der Samariterbund wurden gefragt. Auch nicht jene, die Daten zu den Vermutungen „Teilweise seien die Anfahrtszeiten zu Unfällen länger als früher über den Pannenstreifen, heißt es“ (Kurier, 10. 8. 2012) hätten:
144 NOTRUF NIEDERÖSTERREICH – die Niederösterreichische Rettungsleitstelle – beispielsweise vermerkte heute auf Facebook, dass die objektiven Zahlen zu den Einsätzen der medialen Information zumindest widersprechen. Das tut aber nichts zur Sache, wenn es um Österreichs AutofahrerInnen geht, und neue Rechtslagen – wenn man damit „denen da oben“ eins auswischen kann:
Fakten zum Thema Rettungsgasse – Wir haben nun die Daten aus unserem Einsatzleitsystem verifiziert und die Eintreffzeiten ausgewertet.
Auf Niederösterreichs Autobahnen und Schnellstrassen gab es 2010 exakt 2032 Events, im Jahr 2011 exakt 2032 Events und im Jahr 2012 bis heute exakt 1188 Einsätze.
Dabei zeigt sich, dass es durch die Rettungsgasse keinesfalls eine Verschlechterung der Eintreffzeiten gab, im Gegenteil, die Zeiten an vergleichbaren Unfallorten sind tendenziell besser.
Doch „kalt“ schreibt es sich einfach besser, denn Fakten sind nicht immer gut geeignet, das Thema so rüber zu bringen, wie es intendiert ist.
Einem Journalismus-Experten nach, Chefredakteur Journalistenakademie im Schülermagazin des Gymnasiums in Hinterstoder, funktioniert diese Art der Berichterstattung allerdings niemals, „Weil die Österreicherinnen und Österreich solch einfaches Spiel mit Namedropping um das Sommerloch zu füllen durchschauen und notfalls selbst recherchieren, wenn das schon nicht die Medien machen“.
Vielleicht können ja die anderen Medien, die in die Falle des NÖ-Kuriers getappt sind, dem Kurier eine Rettungsgasse aus dem Sommerloch bilden?
Vielleicht mag ja kobuk.at auch darüber berichten?