Facebook konstruiert Scheinrealität oder der Zivildienst aus der Filter-Bubble

Prolog: Eine kleine Wirtshauselegie

Im Wirtshaus. Gulasch statt Filterbubble.
Im Wirtshaus. Gulasch statt Filterbubble.

Stellen wir uns vor wir gehen in ein Restaurant, die Speisekarte liegt nicht auf und der Kellner empfiehlt uns ein Gericht: In meinem Falle bietet er mir immer wieder Gulasch an. Montag: Gulasch, Dienstag: Gulasch, Mittwoch: Gulasch. Donnerstag, Freitag: Gulasch.

Obwohl ich Gulasch eigentlich nicht mag und jedesmal wieder dazu sage, dass ich kein Gulasch möchte, erhalte ich das nächste mal wieder „Gulasch“ als Top-Empfehlung. Und das, trotzdem ich Veganer bin und einer der Spitzenköche am Herd auch ausgezeichnete vegane Curries kochen kann.

Warum, frage ich den Kellner, erhalte ich immer nur Gulaschempfehlungen? Er weiß von mir, dass ich viele Freunde habe, die wöchentlich einen Gulasch-Stammtisch hier im Restaurant haben, die veganen Speisen werden ausserdem erstens fast nie bestellt und zweitens danach nicht gelobt. Genauso geht es uns tagtäglich auf Facebook.

Danke an Ursula Frais, die meine komplexen sozioökonomischen Gedanken in ein Bild aus der Gastronomie verpackt hat. Dass sie zu dem Zeitpunkt hungrig war tut ja nichts zur Sache J

Filter-Bubble für den Zivildienst?

Bis jetzt habe ich immer gedacht, die „Filter-Bubble“-Diskussion zu Facebook ist eine weitere digitale „Urban Legend“, zumindest was ihre Relevanz für den Durchschnittsbenutzer betrifft – doch ich dürfte mich getäuscht haben.

Begonnen hat es mit einem Kommentar von Martin Pitzl unterhalb eines vielgelesenen und kommentierten Facebook-Beitrags:

Wusstet ihr dass es nicht die Aufgabe des Roten Kreuzes ist Zivildiener zu beschäftigen oder ein muss ist den Rettungsdienst zu organisieren? Finde es ehrlich gesagt einen Wahnsinn dass ihr eine derart riesige pro Zivi Kampagne macht während die Rot Kreuz Kernthemen untergehen. […]

Ergänzt wird das durch ein Twitter-Posting desselben Users, mit ähnlichem aber verkürztem Inhalt.

Rotkreuz-Kernthemen gehen unter? Zivi-Kampagne? Da habe ich mir überlegt, wie es zu einer derartigen Einschätzung – wir würden monothematisch kommunizieren – kommt, wo wir doch Tag für Tag verschiedenste Themen auf Facebook und im Rotkreuz-Portal publizieren? Zivildienst haben wir zwar schon das eine oder andere mal gepostet, aber insgesamt doch nicht übertrieben? Meine persönliche Wahrnehmung am Bottleneck zwischen Webportal und Facebook ist da eine total andere.

Ein paar Beispiele der letzten zehn Tage:

Dabei sind die Themen im Jugendportal www.helpstars.at noch gar nicht mitgezählt. Wie kommt es nun, dass ein für das Rote Kreuz mehr als interessierter und kritischer User all das nicht mitbekommen kann? Zunächst dachte ich an selektive Wahrnehmung. Doch dann – ja, da war doch was. Filterbubble (Jene, die den Sascha Lobo mal linkte), ist das Schlagwort. Vermainstreamung im digitalen Medienkonsum durch Edgerank und Co.

Statistik lügt nie?

Die Statistik lügt nicht: Viralität durch die Filterbubble?

Beobachten wir mal die Statistik der Rotkreuz-Facebook-Page im vergangenen Monat. Dort sind wir im Bereich jener Beiträge, die mehr als 10.000 Personen Reichweite haben schon deutlich monothematischer: von den fünf Beiträgen betreffen vier das Thema Zivildienst und einer die Katastrophenhilfe des Roten Kreuzes in Kärnten nach dem Hochwasser in Lavamünd. Alle anderen – aus meiner Sicht  – genauso interessanten Informationen des Österreichischen Roten Kreuzes erreichen deutlich weniger Personen, wohl weil sie weiter im „long Tail“ unserer Informations-Speisekarte sind.

Das passiert, weil Facebook den Benutzerinnen und Benutzern vorschlägt, was sie am ehesten interessiert, bzw. besser formuliert: Es werden Beiträge vorgeschlagen, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion am größten ist. Ganz so wie mein Gulasch-Kellner am Anfang. Das ist zunächst aufgrund des Interesses des eigenen Netzwerks (also der Freundinnen und Freunde) begründet. Wenn meine Kontakte also ein Posting besonders oft liken, teilen oder kommentieren, dann erhalte ich diese Nachricht signifikant öfter in meiner Timeline. So kommt es, dass man in seinem möglichen Beitragskonsum durch den Geschmack der Crowd gesteuert wird. So bestimmt Facebook die Beiträge, die ich zu Gesicht bekomme und damit konstruieren – wenn ich Pech habe – die Zuckerbergschen Algorithmen viel mehr meine Realität als die Absender der Botschaften. Aber auch das entspricht der Lebensrealität „in real life“. Wenn ich dort nur meinem Stammtisch und dem  Boulevard vertraue, wird sich mein Weltbild – so es davor nicht schon eindimensional war – rasch von bunt in Richtung monochrom verändern …