Für den Bereich der Katastrophenkommunikation – so berichtete Thomas Pleil, Kommunikations-wissenschafter an der Uni Darmstadt (Textdepot auf thomaspleil.wordpress.com, s. auch Bericht im Webmaster’s Blog) – begann das Amerikanische Rote Kreuz mit dem Ansatz, pro Einsatz einen monothematischen Blog zu erstellen, der sämtliche online- Kommunikationsmaßnahmen des Roten Kreuzes zu diesem Ereignis bündeln soll.
Nach meiner eigenen Erfahrung in der Kommunikationsverantwortung bei den letzten großen Katastrophen- und (geplanten) Großeinsätzen kann keine 1:1-Implementierung dieses amerikanischen Konzepts erfolgen. Im Bereich des Österreichischen Roten Kreuzes ist eine derartige Maßnahme partiell sicher interessant, allerdings müssen zunächst die einzelnen Teilanspruchsgruppen und ihre Bedürfnislagen in der Katastrophe vorab im Detail herausgearbeitet werden.
Hier ein kurzer Überblick über diese Teilöffentlichkeiten und ihre Ansprüche: Im Rahmen der Rotkreuz-Führungskräfteausbildung erarbeiten wir im Normalfall vier (bzw. bei der Berücksichtigung der Nichtbetroffenen fünf) unterschiedliche Stakeholdergruppen (in nicht priorisierter Reihenfolge): Die eigenen MitarbeiterInnen (1), die Medien (2) als Vermittler und Verstärker der Information, die Betroffenen (3) (bzw. potentiell weitere Betroffene), Spender und Gönner (4) und die größte Gruppe, die Nichtbetroffenen (5).
Betrachtet man die unterschiedlichen Erwartungshaltungen dieser Akteure im Detail, so ergibt sich folgendes Bild:
(1)Die eigenen MitarbeiterInnen werden wohl über den „Dienstweg“ im Rahmen der für diese Einsätze geltenden Stabs-Linienstruktur informiert, Zusätzlich wird das Rotkreuz-Personal als Opinon-Leader und oftmals erste Ansprechpartner zum Thema im gesamten Bundesgebiet tätig und benötigen daher einen „exklusiven“ Zugang zu Informationen. Hierzu gibt es auf Rotkreuz-Bundesebene neue Ansätze zur Internen Kommunikation im Einsatzfall, die mangels großer Katastrophen im vergangenen Jahr noch nicht getestet werden konnten.
(2) Das Interesse der Medien an Katastrophen ist vielschichtig: Auf der einen Seite gilt die Expertise (a) des Roten Kreuzes als wichtiges Asset, auch die tatsächliche Hilfeleistung vor Ort (b) interessiert. Zahlen, Daten und Fakten zur Katastrophe (c) , zu den Betroffenen und die mögliche weitere Entwicklung sind ebenso Teil der Interessenslage, wie das (mögliche) direkte Gespräch (d) mit Betroffenen, Helfern oder Verantwortlichen für das Einsatzmanagement. Natürlich ist auch die (weitere) Katastrophenvorbeugung (e) ein wesentlicher Aspekt des Medieninteresses. Je nach Art des Mediums werden zusätzlich verschiedene Zusatzinformationen (f), also Fotos, Videos oder Audioclips benötigt. (Podcasts, oder die Portale Flickr bzw. Youtube als Plattformen können hierbei ein wenig helfen)
Ganz wesentlich erscheint mir in diesem Zusammenhang zu betonen, dass gerade erfolgreiche Pressearbeit (auch im Katastrophenfall) eine langfristige soziale Beziehung des Kommunikationsverantwortlichen zu den relevanten JournalistInnen voraussetzt. Glaubwürdigkeit und Vertrauen zwischen den beteiligten Akteuren ist die Grundlage für effiziente und funktionierende Medienarbeit im Anlassfall.
(3) Die Betroffenenperspektive ist im Sinne des Rotkreuz-Mission-Statements („die Situation von Menschen in Not und sozial Schwachen durch die Kraft der Menschlichkeit zu verbessern“, aus der Strategie 2010 der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften) das zentrale Element der Hilfeleistung, aber auch der Kommunikation. Für die Betroffenen ist es ganz wichtig, dass das Vertrauen erhalten wird. Informationen über die Gesamtsituation und über die Hilfeleistung sind hier wichtig, auch „Howtos“ – also, wie man zu Hilfe kommt, wo man sich melden kann, wie man weiteren Schaden verhindern kann, wo man seine Angehörigen finden kann, …- müssen für diese Stakeholder sinnvollerweise Barrierearm auf möglichst vielen Kommunikationskanälen angeboten werden.
(4) Spender und Gönner wollen ihrem Hilfsbedürfnis Folge leisten und rasch, einfach und ohne großem Aufwand direkt für die Betroffenen spenden. Dazu ist es wichtig, die Bedürfnislage genau zu kommunizieren und auch den konkreten Bedarf vor Ort. Vertrauen in die Hilfeleistung des Roten Kreuzes sind Basis dafür – die Spenderkommunikation am besten direkt und zeitnah über die Medien ist dafür ebenso essentiell. (In diesem Zusammenhang muss vor nicht-benötigten Sachspenden gewarnt werden, die nicht nur logistisch, sondern auch vom Image her schnell zur Herausforderung werden können)
(5) Die Bedürfnisse der Nicht-Betroffenen sind eher heterogen und reichen von altruistischem Interesse für die Betroffenen oder für die Hilfeleistung, über allgemeine Informationsbedürfnisse bis hin zu Arroganz. Im schlimmsten Falle opponieren Nicht-Betroffene sogar aus den unterschiedlichsten Gründen gegen die Hilfeleistung für die Betroffenen vor Ort
Diese erste oberflächliche Stakeholderanalyse zeigt, dass sich diese Erwartungen nicht alle mit einem Tool lösen werden lassen, schon gar nicht nur mit einem Weblog. Trotzdem – so denke ich – würde die laufend aktualisierte Zusammenfassung (auch wenn sie redundant erstellt wird) wesentlicher Informationen zu einem Katastrophenereignis viele Prozesse innerhalb und außerhalb des Roten Kreuzes vereinfachen.
Neben fundierter Analyse ist es allerdings auch oft die Praxis, die im Endeffekt entscheidet. Das ist der Grund, dass ich in Zukunft einfach ausprobieren will, ob sich der Blog-Einsatz im Katastrophenfall lohnt.
Wie sehen andere Rotkreuz-Mitarbeiter die Situation, wie wird meine Analyse von anderen eingeschätzt? Schreibt Eure Kommentare dazu!
Ein manuelles Trackback:
Thomas Pleil reagiert in seinem Blog: http://thomaspleil.wordpress.com/2007/07/05/online-pr-einer-ngo-fallbeispiel-rotes-kreuz-at/
Ein Gedanke zu „Disaster 2.0“